Gigerheimat: Werte

Lebensgestalter / Forts.

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1. Einstieg:

Wie mich das Wort Lebengestalter fand

Am Anfang war das Wort. Und das Wort ward Fleisch: Lebensgestalter.

Nun ja, ganz so einfach war es nicht, auch wenn vielleicht dereinst die Legende darüber, wie die Lebengestalter in die Welt gekommen sind, so lauten wird. Da ich aber annehme, Sie ahnten schon, daß zu den Lebengestaltern ein großes Stück Offenheit und Ehrlichkeit gehöre, gehe ich davon aus, Sie würden lieber wissen, wie es wirklich war. Und das ging so:

Ich mochte Herrn Schmidt von Anfang an. Ausgeprägtes Traditionsbewußtsein gepaart mit einer wachen Neugier für alle interessanten Entwicklungen, starke Heimatverbundenheit im selbstverständlichen Miteinander damit, in der ganzen Welt zuhause zu sein, ungetrübtes Selbstbewußtsein verbunden mit einer liebenswürdigen Bescheidenheit - für solche nur scheinbaren Widersprüche habe ich ein Faible.

Herr Schmidt, der übrigens wirklich so heißt, ist Angehöriger einer leider immer seltener werdenden Spezies: Er ist Bankier. Man beachte geflissentlich den kleinen Unterschied von einem Buchstaben zwischen der französischen Version "Bankier" und dem englischen "Banker" und dessen große Folgen: Ein Bankier ist jemand, dem eine Bank gehört, ein Banker arbeitet für eine Bank. Herr Schmidt also ist persönlich haftender Inhaber einer Privatbank im Herzen Deutschlands. Die Bank ist bereits in der siebten Generation im Besitz seiner Familie, gleichzeitig ist er einer der wichtigsten regionalen Förderer von moderner Kunst. Er jettet in der ganzen Welt herum, engagiert sich aber gleichzeitig mit Rat und Tat für seine engere Heimatregion. Er hat vertrauten Umgang mit Größen aus Politik und Wirtschaft und kümmert sich gleichzeitig bis ins Detail um seine Bank.

Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Weil Herr Schmidt nämlich seinerseits wiederum ein Faible für Querdenker und leicht schräge Vögel wie mich hat, bat er mich vor geraumer Zeit um einige Gedanken, Ideen und Visionen zur Zukunft seiner Bank.

Das war eine echte Herausforderung, denn was könnte der beste Berater guten Gewissens einer Bank raten, die seit fast 170 Jahren erfolgreich überlebt hat und sich zudem nicht auf ihren Lorbeeren ausruht, sondern neue Chancen aktiv nutzt ? Nun, zum Glück gibt es auch bei besten Leistungen meistens einen Bereich, in dem deutliche Verbesserungen möglich sind: die Kommunikation darüber. Es reicht bekanntlich heutzutage nicht mehr, gut zu sein und Gutes zu tun, man muß auch so gut darüber reden, daß man gehört wird.

Vielleicht waren es die altmodisch gekleideten Herren der Bankiers-Ahnengalerie im Sitzungszimmer der Bank, die mich darauf brachten, mein hauptsächliches Augenmerk zum vornherein auf das gute alte Medium der Sprache zu richten. Über dieses Unternehmen war nicht in Bildern zu kommunizieren, sondern in Worten. Und weil heutzutage niemand mehr längere Texte liest - mit Ausnahme von Ihnen natürlich - mußte dies möglichst knapp und konzentriert geschehen. Kurzum: Wir brauchten ein verbales Logo für die SchmidtBank.

In etwas weniger gespreizten Worten: Ich war auf der Suche nach dem einen magischen Begriff, der sowohl eine Erklärung für unsere unübersichtlichen Zeiten des Wandels bereit hält als auch darüber hinaus als Herausforderung auf die Zukunft verweist, der gleichzeitig vertraut erscheint und Lust auf neue Bedeutungsgehalte weckt.

Nicht, daß ich auf dieser Suche allein gewesen wäre. Im Gegenteil: Die Wortschürfer mit dem Ziel, möglichst ergiebige Claims abzustecken, sind zahlreich wie die Sucher nach dem gelben Metall zu Zeiten des Goldrauschs in Alaska. Der SPIEGEL mokierte sich jüngst über die Wortgaukelei in den Geisteswissenschaften, die kein anderes Ergebnis hätten, als daß von den meisten "Meisterdenkern" nur ein paar Rezeptworte übrig blieben. Als Beispiel wird dort angeführt: >Innovationsbewußt und marketingorientiert ersinnt der Philosophie-Entertainer Peter Sloterdijk alljährlich ein Wortschätzchen, zum Beispiel "Euro-Taoismus" oder "kopernikanische Mobilmachung".<

Andere akademische Vordenker streiten sich darüber, ob wir nun in der Postmoderne leben oder in der "zweiten Moderne", wie der Soziologe Ulrich Beck meint. Der Trendforscher und ehemalige Journalist Matthias Horx sucht ebenfalls pausenlos nach griffigen Begriffen für seine Trends und tauft diese dann mit so hübschen Namen wie "Soft-Individualismus" oder "Moral Plus". Ich selber - ich gestehe es - habe auch schon versuchsweise mit solchen Wortschätzchen rumgespielt, etwa mit dem Begriff der "Cocktail-Persönlichkeit", der sich jedoch kein bleibendes Aufenthaltsrecht im allgemeinen Wortschatz erkämpfen konnte, was nicht weiter verwunderlich ist, erinnert er doch allzusehr an klebrige Konsistenzen und dauernde Beschwipstheit.

Woher rührt dieser offenbar unaufhaltsame Drang zum Worte, wo dieses doch laut Volksmund nichts als Schall und Rauch ist ? Ist es so, wie der SPIEGEL vermutet ?: >So einfach ist den Wörtern anzumerken, daß sie nicht aus Mühe um Erkenntnis entstanden sind, sondern nach Bedürfnissen und Gesetzen eines Unterhaltungsmarktes. Und der verlangt pausenlos Schnelles, Witziges, Neues.<

Das ist sicher nicht falsch, aber es ist auch nicht alles. Jedenfalls widerlegt der Tanz ums goldene Wort ebenso wie die aufblühende E-Mail-Kultur die düsteren Prognosen, wonach wir das Zeitalter der sprachlichen Kommunikation zugunsten einer reinen Bilderwelt gerade verließen. Zu sehr ist unser Denken, unser Bewußtsein mit Sprache verknüpft, als daß wir von diesem Medium lassen könnten.

Von Sprache untrennbar ist vor allem auch unser Bewußtsein von uns selbst, unsere Identität. Wörter stiften Identität, und das erklärt auch die aktuelle hektische Suche nach neuen identitätsstiftenden Begriffen: Die Dringlichkeit der Suche entspricht der Stärke des Bedürfnisses nach Identität. Wir leben in einer Zeit, in der sich viele alte

Identitäten auflösen: Geschlechterrollen, soziale Schichten, religiöse Bindungen, nationale Grenzen etc. Neue Identitäten sind bestenfalls verschwommen in Sicht, und das schafft ein Vakuum. Ganz offensichtlich braucht der Mensch keine bestimmte Identität, aber er braucht mit Sicherheit eine oder mehrere davon.

Die menschliche Suche nach Identität ist vermutlich so alt wie das menschliche Bewußtsein. Der beinahe hypnotische Zwang, der in der Tempelinschrift zu Delphi formuliert wird, gehört nach allen Erfahrungen zu unserer Grundausstattung: >Erkenne Dich selbst !< Also: Schaffe Dir eine Identität !

Jede Identität beginnt mit der uralten Frage: Wer bin ich ? Meistens wird diese Kernfrage dann schnell aufgeschlüsselt in das Fragen-Kleeblatt mit den drei "W":

- Woher komme ich ?

- Wohin gehe ich ?

- Wozu bin ich da ?

Die dritte Frage verweist dabei auf einen neben "Identität" zentralen Schlüsselbegriff zur Erklärung der Suche nach den magischen Worten: "Sinn". Auch hier sind die Antwortangebote zahlreich und vielfältig, und auch hier steht fest, daß die wenigsten Menschen ohne irgendeine Antwort auskommen.

Womit fest steht: Magische Begriffe, die Identität stiften sollen, müssen ein Stück des Woher plausibel machen, müssen auf Entwicklungen in der Zukunft verweisen und gleichzeitig Sinn stiften, das heißt Antworten auf die Frage nach dem Wozu anbieten.

Das war der Hintergrund, vor dem ich mich aufmachte, ein verbales Logo für die SchmidtBank zu suchen. Im Zuge dieser Recherchen stieß ich auf einen Begriff, den mein Berufskollege und Landsmann Christian Lutz, Leiter des Gottlieb Duttweiler Instituts für Trends und Zukunftsgestaltung, geprägt hat oder jedenfalls häufig verwendet: Lebensunternehmertum.

Der Grundgedanke hinter diesem Wort ist bestechend und könnte tatsächlich zu einem Identitätsmodell für das 21. Jahrhundert werden: Sein Leben als eigenes Unternehmen zu betrachten und zu führen, in Freiheit und Eigenverantwortung.

Meine anfängliche Begeisterung erhielt einen argen Dämpfer, als ich meiner Liebsten zum ersten Mal vom Lebensunternehmertum berichtete. Ihre Reaktion war vernichtend: Mit einem solchen Wortungetüm könne man, selbst wenn die besten Ideen dahintersteckten, schon aus ästhetischen Gründen schlicht keinen Staat machen.

Wo sie recht hat, hat sie recht. Oder würden Sie sich frohen Herzens mit einem solchen abstrakten Wortbrocken identifizieren, denn man kaum aussprechen kann ? Eben. Erschwerend hinzu kommt, und das realisierte ich erst allmählich, daß sich überhaupt kein Mensch, abgesehen von einigen notorischen Berufsdenkern, jemals mit einem abstrakten Begriff identifizieren wird. Blaßlippige Wortkreationen wie "fraktale Affektlogik" sind einfach nicht sexy genug, um Identität zu stiften, und selbst die an sich gelungene Wortschöpfung von der "Emotionalen Intelligenz" schafft das nicht, ganz einfach deshalb, weil ich nicht wissen will, was ich habe, sondern wer ich bin.

Logische Schlußfolgerung: Der gesuchte Begriff durfte kein abstraktes Phänomen beschreiben, sondern mußte Ausdruck für eine bestimmte Art von Menschen sein. Und da die Grundidee stimmte, war fortan nicht mehr von "Lebensunternehmertum" die Rede, sondern von Lebensunternehmern.

Ich tat, was ich in diesen Fällen immer tue: Ich beschrieb meine Vision in Form einer Geschichte, die so tut, als ob die Realisierung der Vision bereits geschehen wäre. Die Geschichte hieß "Wie wir ein verbales Logo für die SchmidtBank erfanden", das erfundene Logo hieß "Die SchmidtBank: Partner für Lebensunternehmer", und die Geschichte spielt im Jahr 2005.

Beschrieben wurde dieses vorerst unbekannte Wesen Lebensunternehmer in dieser Geschichte wie folgt:

>Wer oder was aber sind Lebensunternehmer ? Nun, damals war das ein neuer Begriff, der sich mittlerweile ziemlich durchgesetzt hat, aber er bezeichnete schon damals nichts grundsätzlich Neues: Menschen, die ihr Leben in die eigenen Hände nehmen - das war und ist für mich der Identitäts-Kern von Lebensunternehmern - gab es natürlich schon immer. Sein Leben als Unternehmen zu betrachten und es nach eigenen Wert- und Zielvorstellungen nicht nur zu managen, sondern zu gestalten - diese Haltung macht einen wesentlichen Teil unserer westlichen Kultur aus, ja, ein solches Leben gilt hierzulande zu recht als Prototyp eines sinnvollen Lebens.

Daß diese Einsicht wachsen würde, war schon Ende des letzten Jahrhunderts abzusehen. Dazu trug natürlich wesentlich bei, daß sich eine theoretisch denkbare Alternative damals zusehends als Illusion erwies; daß man nämlich die Verantwortung für sein Leben an andere, etwa den Staat, delegieren könne. Doch mindestens so wichtig war eine mit Instrumentarien wie "SensoNet" zu beobachtende innere Entwicklung auf der Ebene der Werte: Freiheit, Autonomie und Selbständigkeit wurden zusehends wichtiger - und damit wuchs auch die Einsicht in die Kehrseite, nämlich die Notwendigkeit zur Eigenverantwortung.

Wo solche Entwicklungen unterschwellig laufen, braucht es oft nur einen Funken in Form eines leicht irritierenden neuen Begriffs, um einen Erkenntnisprozeß zu entzünden. Ein solches Aha-Erlebnis kann der Begriff des Lebensunternehmers auslösen: Aha, ich bin kein Lebensangesteller, der einfach Anweisungen einer höheren Instanz ausführt, und auch kein Lebensbeamter, der seine Laufbahn jahrzehntelang im voraus planen kann. Als Lebensunternehmer muß ich vielmehr Chancen ergreifen, wo sie sich bieten, und entsprechend flexibel und wandlungsfähig sein. Als Lebensunternehmer kann ich immer wieder aufs Neue entscheiden, was ich wirklich will und welche Ziele mir wichtig sind. Als Lebensunternehmer trage ich nicht nur die Verantwortung für eine klar abgegrenzte Abteilung, ich muß vielmehr das Ganze im Auge behalten und dabei schnell von einem Lebensbereich zum anderen und von einer Lebensphase zur nächsten wechseln können.

Das sind die wichtigen Elemente der Identität eines Lebensunternehmers. Was er dabei konkret tut, ob er auch juristisch selbständig ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle - zumal Art und Organisation der Tätigkeiten von Lebensunternehmern ohnehin häufig wechseln können. Wichtig sind vielmehr Selbstbild, Identität, Mentalität. Dabei kann keine Einheitlichkeit erwartet werden: Abgesehen von einigen gemeinsamen Grundwerten sind Lebensunternehmer ausgeprägte Individualisten.<

Mit dieser Geschichte also ging ich zu Herrn Schmidt, und er fand das alles ganz wunderbar - mit einer Ausnahme. Sie ahnen es schon: Er war skeptisch gegenüber dem Begriff der Lebensunternehmer. Ihn erinnere das Wort "Unternehmer" einfach doch zu stark an "echte" Unternehmer im wirtschaftlichen Sinne, und er vermute, vielen anderen Menschen ginge es ebenso, was die Irritation gegenüber dem Begriff einfach zu stark anwachsen ließe, um damit zu überzeugen.

Natürlich war ich über diese Reaktion nicht besonders erbaut, bedeutete sie doch, daß ich einen neuen Begriff suchen mußte. Aber natürlich hatte Herr Schmidt mit seinem Einwand recht, und da ohne diese Ablehnung des ersten Versuchs mich das Wort "Lebensgestalter" nie gefunden hätte - was nun wirklich zu und zu schade gewesen wäre - , gebührt Herrn Schmidt eine wichtige Rolle in dieser Geschichte.

Falls Sie sich im Titel zu diesem Kapitel oder jetzt eben darüber gewundert haben, daß es nicht heißt "wie ich das Wort fand", sondern "wie mich das Wort fand": So war es wirklich. Was nicht weiter überraschend ist, habe ich doch im Laufe eines langen Denkerlebens gelernt, daß man die guten Ideen nicht findet, wenn man sie unter großen Anstrengungen aktiv sucht, sondern daß sie einem viel eher finden, wenn der eigene Geist frei und locker genug ist, um die gewohnten Denkbahnen zu verlassen. Eines meiner bevorzugten Mittel zur Geisteslockerung ist das Gehen zu Fuß, und so ging ich erst einmal spazieren.

Die Erleuchtung überfiel mich wie meist an derselben Stelle meines oft begangenen Wegs, in einer ziemlich steilen Steigung nämlich, und sie wurde fester und transparenter zugleich auf meiner Lieblingsbank unter meinem Lieblingsbaum: Aus Lebensunternehmern wurden ganz einfach Lebensgestalter.

Das ist sicher kein ganz neuer Begriff, aber ein bisher eher selten verwendeter. Woher er mir zugefallen ist, weiß ich nicht, aber sobald er mich gefunden hatte, ergab er für mich eine Menge Sinn. Zu seinen Gunsten sprach zudem stark, daß nicht nur Herr Schmidt damit zufrieden war, sondern auch meine Liebste, die gegenüber "Lebensunternehmer" ebenfalls ihre gesunde Portion Skepsis gehabt hatte. Nun allerdings war sie vom neuen Begriff so angetan, daß sie unverzüglich damit begann, sich mit einigen Freundinnen zu überlegen, wer denn aus dem großen gemeinsamen Bekanntenkreis diese Bezeichnung am ehesten verdiene und wie man daraus interessante Einladungen gestalten könnte.

Das war nun allerdings ein höchst ermutigendes Testergebnis für die Tauglichkeit des Begriffs "Lebensgestalter", Wenn dieser Begriff in beiden Sphären überzeugend und attraktiv wirkte, in der eher abstrakt-philosophischen Denkersphäre, in der ich mich bevorzugt tummle, ebenso wie in jener Sphäre, in der konkrete Einzelnmenschen im Zentrum stehen - das bevorzugte Gelände meiner Liebsten - , dann mußte an ihm etwas dran sein.

Also war ein weiterer Test fällig. SensoNet mußte gefragt werden. Über diesen Begriff sind Sie vielleicht eben schon im Text über die Lebensunternehmer gestolpert, einem Text übrigens, in dem man problemlos die beiden Begriffe auswechseln konnte, ohne daß sich an seiner Bedeutung etwas geändert hätte. Wer oder was ist SensoNet, und warum konnte es hier die Rolle eines Orakels spielen ?

Eine Antwort auf diese Fragen finden Sie in den folgenden Auszügen aus einem (fiktiven) Interview mit mir über die kleine Firma "FutureScope Gesellschaft für Zukunftsforschung mbH", der Trägerin von SensoNet:


Was treibt die "FutureScope GmbH", an der Sie beteiligt sind und für die Sie hauptsächlich arbeiten, eigentlich genau ?

Wir sind eine Agentur für Zukunftsbilder.

Das heisst, Sie machen Aufnahmen davon, wie zum Beispiel technische Geräte in ein paar Jahren aussehen werden ?

Nein, das gehört nicht zu unserem Repertoire. Wir haben uns auf Portraits von Menschen spezialisiert. Wir produzieren Bilder davon, wie Menschen wie Sie und ich in fünf bis zehn Jahren leben und lieben, wohnen und arbeiten, kommunizieren und reisen werden. Und wir machen auch Aufnahmen aus dem Inneren der Menschen von morgen und übermorgen: Was wird ihnen wichtig und wertvoll sein ? Nach welchen Zielen werden sie ihr Leben ausrichten ? Was werden sie schön finden ? etc.

Wie kann man denn die Menschen der Zukunft heute schon porträtieren ?

Es braucht dazu schon eine besondere Kamera und einen besonderen Kameramann...

Etwas genauer bitte !

Nun, das kollektive Bewußtsein bestimmt - nicht allein, aber zu einem guten Teil - die gesellschaftliche Realität von morgen. Um zu wissen, wie es in ein paar Jahren aussieht, brauchen wir also nur dieses kollektive Bewußtsein von heute anzuzapfen.

Und wie geht das ?

Die meisten Menschen haben Erwartungen und Wünsche an die Zukunft, aber nur wenige können diese auch bewußt formulieren. Diese wenigen fragen wir.

Und das reicht ?

Ja, so wie es genügt, jenes Zehntel eines Eisbergs, das aus dem Wasser ragt, zu beobachten, um seine Wanderroute zu verstehen. Oder nehmen Sie ein anderes Bild: Wenn die Indianer zur Zeit der großen Siedler-Trecks im Wilden Westen wissen wollten, wohin die Reise ging, genügte es ihnen, die Vorhut zu beobachten: Der Hauptharst zog mit Gewißheit in dieselbe Richtung, er kam nur etwas später an.

Und wie finden Sie diese Vorhut ?

Wenn jemand in seinem bisherigen Leben gezeigt hat, daß er (oder sie natürlich) gerne bei der Vorhut dabei ist und ein überdurchschnittliches Interesse an der Zukunft zeigt, ist er oder sie bei unserem Netzt von zukunftssensiblen Evolutionären, SensoNet genannt, dabei. Dabei ist es übrigens egal, ob es sich um die technische oder ökologische oder spirituelle Vorhut handelt - die meisten SensoNet-Mitglieder haben ohnehin in verschiedenen zukunftsträchtigen Lernfeldern ihre Vorhut-Erfahrungen gesammelt. Und dieses Netz befragen wir nun regelmäßig über seine Wünsche und Erwartungen an die Zukunft im allgemeinen, speziell aber auch an die eigene Zukunft. Jedes Fragenspiel wird derzeit von etwa 300 Personen aus dem deutschsprachigen Raum beantwortet. Über die wichtigsten Ergebnisse werden die SensoNet-Mitglieder übrigens auch wieder informiert.

Und aus diesen Einzelmeinungen kombinieren Sie dann Ihre Zukunftsbilder, die eigentlich heutige Meinungsbilder sind ?

Exakt. Natürlich sind diese Zukunftsbilder keine exakten Prognosen, die gibt es nun mal nicht. Doch es sind gute Näherungen, die zeigen, wie wahrscheinlich bestimmte Entwicklungen sind.

Wer braucht solche Zukunftsbilder, und wozu ?

Jeden Tag werden unzählige Entscheide aufgrund von Zukunftsbildern gefällt. Das gilt in Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft genau so wie für Individuen. Gute Zukunftsbilder erhöhen die Qualität von Entscheidungen. Entsprechend richtet sich unser Angebot an ein vielfältiges Zielpublikum: Manager, Politiker, Berater, Journalisten, Wissenschaftler und Studenten, aber auch Einzelpersonen mit einem überdurchschnittlichen Interesse an der Zukunft.


SensoNet ist also ein Netz von zukunftssensiblen Evolutionärinnen und Evolutionären, deren heutige Meinung mit großer Wahrscheinlichkeit der Main Stream von morgen ist. Und eben dieses Netz nun haben wir zum Thema Lebensgestalter befragt.

Dabei zeigte sich als erstes: Herr Schmidt hatte ebenso recht gehabt wie meine Liebste: Lebensgestalter ist besser als Lebensunternehmer. Die entsprechenden Fragen und Antworten lauten:

Zum Schluß von Fragenspiel 1/98 noch einmal ein grundsätzlicher Ausblick auf Ihre eigene Zukunft und jener unserer Gesellschaft. Wir spielen dabei wieder einmal mit Begriffen:

Können Sie ganz spontan mit dem Begriff "Lebensunternehmer" etwas anfangen ?

 ja, ich bin selber eine(r)

 31%

 ja, ich kenne solche

 23%

 nein, sagt mir gar nichts

 46%

 

 Und können Sie mit dem Begriff "Lebensgestalter" etwas anfangen ?

 ja, ich bin selber eine(r)

 46%

 ja, ich kenne solche

 30%

 nein, sagt mir gar nichts

 23%

 

Wenn selbst die Hälfte von SensoNet mit einem Begriff wie "Lebensunternehmer" nichts anfangen kann, hat er in der breiteren Öffentlichkeit ohnehin keine Chance. Anders sieht es bei den Lebensgestaltern aus. Damit kann die große Mehrheit von SensoNet etwas anfangen, und das bedeutet auch eine große Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Begriff in der Öffentlichkeit Karriere machen könnte.

Nun gibt es Begriffe, die wohl jetzt noch gut ankommen, aber auf dem absteigenden Ast sind. Mit einem solchen Begriff lohnt sich eine intensivere Auseinandersetzung kaum, wohl aber mit einem Begriff, dessen Dynamik nach oben weist, der also im Kommen ist.

Auf den Begriff der Lebensgestalter trifft dies offenbar zu, wie die folgenden SensoNet-Ergebnisse zeigen:

Hier finden Sie eine kurze Beschreibung von Lebensgestaltern:

Lebensgestalter haben sehr individuelle Biografien, teilen jedoch Selbstbild, Grundwerte und Mentalität. Menschen, die ihr Leben in die eigenen Hände nehmen - das war und ist der Identitäts-Kern von Lebensgestaltern: sein Leben gleichsam als Unternehmen zu betrachten und es nach eigenen Wert- und Zielvorstellungen nicht nur zu managen, sondern zu gestalten.

Lebensgestalter sehen sich so: Aha, ich bin kein Lebensangesteller, der einfach Anweisungen einer höheren Instanz ausführt, und auch kein Lebensbeamter, der seine Laufbahn jahrzehntelang im voraus planen kann. Als Lebensgestalter muß ich vielmehr Chancen ergreifen, wo sie sich bieten, und entsprechend flexibel und wandlungsfähig sein. Als Lebensgestalter kann ich immer wieder aufs Neue entscheiden, was ich wirklich will und welche Ziele mir wichtig sind. Als Lebensgestalter trage ich nicht nur die Verantwortung für eine klar abgegrenzte Abteilung, ich muß vielmehr das Ganze im Auge behalten und dabei schnell von einem Lebensbereich zum anderen und von einer Lebensphase zur nächsten wechseln können.

Wie sehr sehen Sie sich selber als LebensgestalterIn in diesem Sinne ?

Bitte eine Zahl zwischen 1 (nicht im geringsten) bis 10 (total).

Heute

 6.4

Welchen Wert hätten Sie vor zehn Jahren gewählt ?

 5.0

Und welchen würden Sie voraussichtlich in zehn Jahren wählen ?

 7.0

Das Ergebnis ist klar und eindeutig: Der Begriff "Lebensgestalter" ist auf dem aufsteigenden Ast, er stiftet mehr und mehr Identität.

Damit war meine Neugier natürlich endgültig geweckt. Und nachdem auch meine Liebste berichtete, es hätte sich in ihren Gesprächen gezeigt, daß es gar nicht so einfach sei zu formulieren, wer oder was Lebensgestalter eigentlich seien, welche Eigenschaften sie ausmachten, lag es nahe, noch einmal zu SensoNet zurück zu gehen und dem Netz genau diese Fragen zu stellen.

Dafür habe ich ein ganzes Fragenspiel mit etwa 50 Fragen gebraucht, ohne mich im Geringsten der Illusion hinzugeben, das Thema sei damit auch nur einigermaßen erschöpfend behandelt. Lebengestalter sind komplexe Wesen, von denen man nur dann ein halbwegs stimmiges Bild gewinnen kann, wenn man sich ihnen von den unterschiedlichsten Seiten her nähert, sie aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.

Genau das haben wir mit dem SensoNet-Fragenspiel 2/98, das sich weitgehend dem Thema Lebensgestalter widmet, versucht. Die Ergebnisse bilden das Gerüst der folgenden Beschreibungen von Lebensgestaltern als Identitäts-Leitbilder des 21. Jahrhunderts, doch weil Statistiken immer nur Teilaspekte des realen Lebens abbilden können, kommen überall auch Einzelstimmen zu Wort. Beides zusammen regt Sie hoffentlich zu eigenen Gedanken und Vorstellungen an und zur Antwort auf die Frage, ob Lebensgestalter auch ein Teil Ihrer Identität ist oder werden könnte.

 

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