Gigerheimat: Worte
 
 

 

Eigennutz statt Ethik

Warum es für die Menschenrechte bessere Möglichkeiten gibt als Wirtschaftsethik

Das kleine Wörtchen "und" kann es in sich haben. Wenn es in einem Titel wie "Wirtschaftsethik und Menschenrechte" auftaucht, suggeriert das automatisch, dass die beiden Begriffe zusammen gehören, dass sie etwas verbindet. Jetzt müsste mir nur noch einfallen, was.

Wenn meine Katze einen Vogel jagt, nützt es nichts, wenn ich ihr eine Predigt darüber halte, das sei ethisch unverantwortlich. Das Einzige, was sie davon allenfalls abhalten kann, ist, dass ich ihren Napf mit einer Leckerei fülle, die ihr ausgesprochen mundet.

Wohlgemerkt: Die globale Durchsetzung der allgemeinen Menschenrechte ist ein ehrenwertes Ziel. Keine Frage. Die Frage ist nur, wie? Die Politik versucht es seit Jahrzehnten, der Erfolg ist, na ja, sagen wir mal, mäßig. Deshalb soll es jetzt die Wirtschaft richten. Man appelliert an die ethische Verantwortung der Wirtschaftsführung und hofft, diese würden dank einer ausgereiften Wirtschaftsethik dafür sorgen, dass die Menschenrechte besser eingehalten würden. Oder so.

Ethik engt ein

Das ist, mit Verlaub, eine eher blauäugige Haltung. Denn - apropos Augen: Sobald dort die berühmten Dollarzeichen aufblitzen, ist es mit so hehren ethischen Idealen wie den Menschenrechten nicht mehr weit her. Schon der gute alte Brecht wusste, dass erst das Fressen kommt und dann die Moral. Oder haben Sie schon mal was von einem Unternehmen gehört, das auf Geschäfte mit China verzichtete mit der Begründung, dort würden die Menschenrechte nicht ausreiechend hoch gehalten? Na also.

Es ist doch so: In einem marktwirtschaftlichen System, das heißt - sagen wir es ruhig - im Kaptalismus, wollen alle Akteure ihre wirtschaftliche Tätigkeit möglichst ungehemmt entfalten können. Gut, einige politische und/oder juristische Grenzen sind wohl unvermeidlich, und an die hält man sich mehr oder weniger zähneknirschend, man könnte anderenfalls ja in den Knast kommen.

Jetzt kommen die Wirtschaftsethiker und wollen weitere Einschränkungen bei der freien wirtschaftlichen Entfaltung, und zwar freiwillige, einzig auf weichen idealistischen Einsichten beruhende.

Das kann nicht gut gehen. Selbst wenn es gelänge, einzelne Wirtschaftsführer zu bekehren, wären diese ihren Job schnell los, wenn sie sich freiwillig Einschränkungen auferlegten und sich damit Nachteile im Konkurrenzkampf einhandelten. Im Zweifelsfall ist das Killerargument, ein Unternehmen sei keine Wohltätigkeitseinrichtung, sondern eine Maschinerie zum Zwecke der Profitmaximierung, schnell zur Hand.

Erschwerend hinzu kommt die Komplizenschaft der Konsumenten. Wo nur noch "Geiz ist geil!" gilt, wird gnädig weggeschaut, unter welchen Bdingungen produziert wird und ob dabei Menschenrechte und Menschenwürde zu kurz kommen - Hauptsache, das neue Kleid oder das neue DVD-Gerät sind spottbillig.

Solange das Kartell funktioniert, in dem hier zu Lande Anbieter wie Konsumenten auf Kosten von Dritten anderswo (und deren Menschenrechten) profitieren, dürften also Appelle an die ethische Verantwortung der Marktpartner wenig fruchten. Im besten Falle führen diese zu einer Art schizophrener Spaltung wie beim "guten Menschen von Sezuan" von Bertold Brecht: Sonntags lauscht man ergriffen den Aufrufen zu ethischer Verantwortung, werktags handelt man so, wie es die ökonomische Logik gebietet: knallhart.

Werte werden was wert

Das muss keineswegs bedeuten, dass die Wirtschaft und die Förderung der Menschenrechte auf ewig getrennt bleiben müssen. Es gibt sehr wohl eine (zunehmende) Chance für die Menschenrechte. Diese kommt, wie in einer Marktwirtschaft üblich, von Seiten des Marktes. Die Logik ist glasklar: Wenn es einen Bedarf, eine Nachfrage, einen Markt für Menschenrechte gibt, wird dieser Bedarf früher oder später auch bedient.

Diesen Bedarf gibt es, und er wächst. Noch weitgehend unbemerkt von der öffentlichen Meinung gibt es nämlich einen Trend von Geld zu Geist, von Quantität zu Qualität, von materiellen zu immateriellen Werten. In der Vorhut der Gesellschaft, dort, wo neue Meinungen gebildet und verbreitet werden, sind Werte, und zwar immaterielle Werte, längst ein Thema. Selbstverwirklichung bedeutet dort vor allem, nach seinen eigenen Werten leben zu können.

Werte werden also was wert. Ja, man kann sogar vorhersehen, dass eine Ökonomie, die vor allem auf den Bedürfnissen und Wünschen der Kundinnen und Kunden beruht, allmählich abgelöst wird von einer Ökonomie der Werte: Anbieter leben in dieser Ökonomie davon, dass sie mithelfen, die Werte ihrer Konsumenten zu realisieren.

In einer solchen Ökonomie der Werte geht es aber nicht nur um die unmittelbare Förderung der Kundenwerte durch die Anbieter, etwa indem diese dazu beitragen, das "Lebensqualiäts-Konto" der Kunden zu äufnen. Wichtig wird in einer solchen Ökonomie auch die Kongurenz der Werte von Anbietern und Kunden.

Geteilte Werte sind doppelte Werte

Das bedeutet im Klartext: Die bewussten, werteorientierten Kunden der Zukunft gehen längefristige Beziehungen mit einem Anbieter nur noch dann ein, wenn dessen Werte mit den eigenen übereinstimmen. Und zu diesen Werten kann sehr wohl die Förderung der Menschenrechte gehören.

Für die Anbieter gilt deswegen in Zukunft wie für die Konsumenten: Geteilte Werte sind doppelte Werte. Welche Werte eine Marke oder Firma verkörpert, wird sicher nicht so schnell zum wichtigsten Entscheidungskriterium beim Konsum. Doch ein wichtiges Kriterium unter anderen wird es mehr und mehr, vor allem dann, wenn die Angebote sonst identisch sind - eine Marktsituation, die in Zukunft noch vermehrt zu erwarten ist.

Welche Werte ein Wirtschaftsunternehmen hat, ist von außen nicht direkt einsehbar. Die Partner des Unternehmens, vor allem die Konsumentinnen und Konsumenten, sind darauf angewiesen, indirekt zu erkennen, welche Werte eine Firma oder eine Marke hat. Dabei steht im Vordergrund, welche Werte eine Firma verkörpert. Ersichtlich wird das für den Markt in der Qualität von Produkten und Service, in der Benutzerfreundlichkeit, in der respektvollen Behandlung der Kunden sowie in Kompetenz und Freundlichkeit der Mitarbeiter. Hier geht es also noch um ganz handfeste und direkte Werte der Kunden.

Doch schon auf der nächsten Ebene, dort, wo es darum geht, welche Werte eine Firma lebt, kommen übergeordnete Werte ins Spiel. Hier geht es um Dinge wie den Umgang mit Umwelt und Mitarbeiter, um Nachhaltigkeit, und - explizit - auch um Ethik. Das heißt, hier geht es auch und gerade um Fragen der Menschenrechte.

Werte-Kongurenz heißt das Zauberwort der Zukunft: Grosse Marktpotenziale lassen sich erschließen, wenn die Werte des Anbieters mit jenen der Kunden übereinstimmen. Sofern es genügend Kunden gibt, denen Werte wie die Menschenrechte etwas wert sind.

Noch ist diese Kundengruppe zweifellos in der Minderheit. Doch es gibt sie. Sie heute schon auf zwanzig Prozent der Bevölkerung und mehr zu schätzen, ist sicher nicht übertrieben. Und sie wird weiter wachsen. Was sie auch ökonomisch immer interessanter macht. Das liegt daran, dass sie sich weitgehend aus der zunehmend an Bedeutung gewinnenden "Kreativen Klasse" rekrutiert. Und dort spielt die Musik, vor allem die Zukunftsmusik.

Erleichtert wird die zunehmende Bedeutung von Werten wie den Menschenrechten auch und gerade beim Konsum durch eine zunehmende Transparenz. Je länger je weniger sind die Konsumentinnen und Konsumenten bei der Beurteilung der Frage, welche Werte eine Firma verkörpert und lebt, auf deren Selbstdarstellungen in Werbung und PR angewiesen. Stattdessen gibt es, dank Internet, immer mehr unabhängige Informationsquellen. Alle, die das wollen, können also wissen, ob ein Unternehmen die Menschenrechte fördert, und danach handelt. Die Möglichkeiten, die es dazu heute schon gibt, sind erst der Anfang.

In Zukunft wird es also mehr Konsumentinnen und Konsumenten geben, die von ihren Marktpartnern ein konsequentes Einstehen für die Menschenrechte fordern, und es wird ihnen immer leichter fallen, dabei die Spreu vom Weizen zu trennen.

Kluge Anbieter am Markt setzen rechtzeitig auf diesen Trend. Nicht, um irgendwelchen wirtschaftsehtischen Anforderungen zu genügen, sondern aus purem Eigennutz. Weil sie so mehr verkaufen, und vor allem, weil sie so leichter bessere langfristige Kundenbeziehungen aufbauen können.

Wer also die Menschenrechte fördern will, verzichtet mit Vorteil auf unwirksame wirtschaftsethische Appelle und fördert dafür das Bewusstsein für den zunehmenden Wert von Werten im menschlichen Leben und damit auch im Konsumverhalten. Erst wenn die Märkte sich weigern, Produkte zu kaufen, die auf Kosten der Menschenrechte produziert worden sind, wird auch der letzte Anbieter auf solche Praktiken verzichten.

Umgekehrt gilt: Wer heute schon auf die wachsende Konsumentengruppe setzt, der Werte wie die Menschenrechte etwas wert sind, steigt ein in einen Wertschöpfungsprozess, der aus immateriellen Werten materielle Werte schafft. Dieses, ganz auf Eigennutz beruhende Wertschöpfungsprinzip wird die wahre Alchemie der Zukunft sein.

 

 

 

 

Beitrag für die erste gedruckte Ausgabe des "Glocalist" , Oktober 2005:

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