Auf der Suche
nach dem Sinn
Soziologe Andreas Giger
thematisiert in Grafing den Wertewandel im Alter
Von Stefan Möbius
Grafing . Spätestens seit der
Debatte um die Rente mit 67 kann niemand mehr die Augen davor
verschließen: Der demographische Wandel prägt längst
die Gesellschaft. Die Deutschen bekommen immer weniger Kinder
- und gleichzeitig werden sie immer älter. Der Sozialwissenschaftler
Andreas Giger referierte am Freitagabend in der Grafinger Bücherei
über den Wertewandel und die "Lebenskunst im Dritten Alter".
Die Veranstaltung gehörte zum Semesterschwerpunkt
"Generationen" der Volkshochschule. 90 Minuten lang fesselt Giger,
der sich selbst als Zukunftsphilosoph bezeichnet, die Zuhörer
mit seinen Ideen zur Lebensgestaltung im fortgeschrittenen Alter.
Dabei stellt er einen nicht aufzuhaltenden Reifeprozess der Gesellschaft
im Ganzen fest. Ein Wertewandel von materiellen zu immateriellen
Werten, also von Geld zu Geist. Für einen wachsenden Anteil
der Bevölkerung stünden heutzutage nicht mehr Reichtum
und Luxusgüter im Vordergrund, sondern vermehrt Werte wie
Familie, Freundschaft oder Gesundheit. Laut Giger sucht bereits
rund ein Sechstel der hiesigen Bevölkerung nicht mehr nach
Quantität, sondern nach Qualität. Diese "Bewusstseinselite"
verfolgt Ziel wie Lebenssinn, Echtheit oder Zufriedenheit.
Einen Grund für diese
Entwicklung sieht Giger darin, dass das einzelne Individuum heute
mehr Möglichkeiten zur Lebensgestaltung besitzt. "Dieser
Weg war vor einigen Jahren noch von Staat und Kirche vorgeschrieben.
Des Weiteren haben ältere Menschen mehr Freiheiten bei der
Manifestation der eigenen Ziele; da sie nicht mehr den Zwängen
der Jugend ausgesetzt sind."
Bei der folgenden Diskussionsrunde
werden dann auch kritische Fragen gestellt. So will ein Besucher
wissen, ob eine gewisse Alterssturheit nicht den Prozess der Reifefindung
bremse. Giger: "Ich glaube nicht, dass man im Alter automatisch
sturer wird. Wie alles im Leben, kann Starrsinn Heilmittel oder
auch Gift sein, es ist eine Frage der Dosierung. Man benötigt
Beharrlichkeit, um bedeutende Dinge voran zu bringen."
Die Zuhörer, unter ihnen
zahlreiche Senioren, haben am Ende neue Erkenntnisse gewonnen.
Klaus Grombach aus Grafing: "Ich beschäftige mich auch mit
diesen Fragen, der Abend war sehr informativ."
Nikolaus Lotter aus Ebersberg ist nach dem Vortrag durchaus hoffnungsvoll
gestimmt - ebenso wie drei Viertel der Gäste an diesem Abend:
Eine Befragung ergibt, dass rund drei Viertel insgesamt mit ihrem
Leben sehr zufrieden sind.