Gigerheimat: Worte
GrenzgängerI

 

Andreas Giger als Grenzgänger


Im Buch "Die Spur des Grenzgängers" (siehe Spalte rechts) gibt es einen Abschnitt über Andreas Giger, der dessen Antworten auf einen Standardfragebogen enthält:

Dr. Andreas Giger (Zukunfts-Philosoph): "Gescheiterte Unternehmungen sind allenfalls vorläufig gescheitert."

Was macht Sie zum Grenzgänger?
Ein ausgeprägter Drang, hinter Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten schauen zu wollen- außen und innen. Auf dieser Entdeckungs- und Entwicklungsreise werden zwangsläufig immer wieder Linien überschritten, die einmal als Grenzen erschienen.

An welche Grenzsituation (Krise) erinnern Sie sich?
Es war meine anspruchsvollste Bergtour. Sie ging über die "Himmelsleiter" des Biancograts auf den höchsten Gipfel der Ostalpen, den Piz Bernina. An diesem Tag war ich mit meinem Bergführer allein auf dieser sonst sehr beliebten Tour. Der Grund: Von rechts blies ein so gewaltiger Sturm, dass man, um das Gleichgewicht zu halten, am liebsten einen Ausfallschritt nach links getan hätte. Dort allerdings gähnte ein über tausend Meter tiefer Abgrund (rechts übrigens auch), der Grat war nicht breiter als ein Schuh. Dabei habe ich gelernt, dass man einen Grat notfalls auch hochkommt, indem man auf allen Vieren kraxelt. Dieses Gefühl, auf ausgesetztem Grat zu wandeln, habe ich in meinem Leben oft gehabt. Allerdings gab es da keinen Bergführer mehr. Jedenfalls keinen in der Außenwelt. Innen (oder im Kosmos) muss es einen gegeben haben, böse abgestürzt bin ich bisher nie.

Welche Grenze dürfen Sie nie überschreiten?
Außen: anderen bewusst zu schaden. Innen: die Grenze zum Hochmut.

Welche Tugenden sollte ein Grenzgänger haben?
Neugier, Wissensdurst. Beharrlichkeit, manchmal bis zur Sturheit. Selbstvertrauen und Treue zu sich selbst.

Was ist das Bedrohliche an einer Grenzsituation?
Die Angst vor dem Neuen und damit noch Unbekannten.

Wie gehen Sie mit Ihrer Angst um?
Ich begrüße sie als willkommenen Anlass, jeder Grenze mit gesunder Vorsicht zu begegnen. Und verweise sie in ihre Schranken, indem ich mich an die vielen Gelegenheiten erinnere, in denen ich ohne Schaden eine Grenze überschritten habe.

Wo sind Ihre Grenzen?
Es gibt natürlich natürliche Grenzen: begrenzte Zeit und Leistungsfähigkeit etc. Und es gibt die vermeintlichen, weil nur im eigenen Geist gezogenen Grenzen: "das kann ich nicht". Letztere sind in der Regel nicht starr, solange ich sie als "das kann ich noch nicht" formuliere.


Lassen sie sich durch Bildung und Erfahrung erweitern und verändern?
Natürlich. Je öfter ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich Grenzen des eigenen Könnens verschieben lassen, desto leichter wird dieser Prozess. Und lernen lässt sich (fast) alles, wenn das Ziel - möglicherweise jenseits einer vermeintlichen Grenze - ausreichend stark lockt und anzieht.

Welche Lehren ziehen Sie aus gescheiterten Unternehmungen?
Gescheiterte Unternehmungen sind allenfalls vorläufig gescheitert. Oft waren sie einfach zu früh, war ihre Zeit noch nicht reif. Was nichts daran ändert, dass ich bei der Arbeit daran etwas gelernt habe. Solche Projekte ruhen dann auf meiner Recycling-Halde. Manchmal für immer, doch erstaunlich oft bekommen sie irgendwann doch eine zweite Chance, angepasst natürlich in ihrer äußeren Form, doch im Kern die ursprüngliche Idee. Aufgrund dieser Erfahrungen hüte ich mich davor, Unternehmungen, die nicht sogleich den gewünschten Erfolg bringen, vorschnell als gescheitert abzustempeln. Wie steht es oft im "I Ging"? Richtig: Beharrlichkeit bringt Segen!

Was motiviert Sie? Was bringt Sie zum Handeln?
Als junger Mann lief ich einmal in ziemlich verzweifelter Stimmung durch den Stadtpark, als ich ein Schneeglöckchen entdeckte, das eben durch den noch beinahe gefrorenen Boden spross. In meinem Geiste sprach ich es bedauernd an und meinte, es hätte doch sicher nicht darum gebeten, jetzt aus dem warmen Erdreich an die kalte Luft zu wachsen. Da hörte ich seine Stimme in mir: "Oh doch, ich will blühen und damit meine Bestimmung leben, auch wenn das manchmal Schmerzen bedeutet!" Ein gehörige Portion von diesem unbedingten Willen zum eigensinnigen Leben steckt wohl auch in mir...

Wie finden Sie die moralischen Grundlagen dafür?
Indem ich mich an meinen eigenen Werten orientiere.

Was heißt für Sie Erfolg?
Erfolg ist für mich, wenn meine inneren Impulse in Worten und Bildern eine Form finden, die bei anderen Menschen auf Resonanz stößt und bei ihnen eigene innere Prozesse anstößt.

Was halten Sie für Ihren größten Erfolg?
Da ich weiterhin Grenzgänger bleiben möchte, liegt der größte Erfolg - sofern es denn so etwas überhaupt gibt - natürlich noch irgendwo in der Zukunft. Ich bin selber gespannt darauf, wie er aussehen wird...

Wie gelingt es Ihnen, Ihre persönlichen Wertmaßstäbe mit Ihrer Lebens- und Karriereplanung zusammenzubringen?
Ich glaube, Grenzgänger müssen auf Lebens- und Karriereplanung verzichten. Ganz den inneren Maßstäben zu folgen, heißt eben oft, überraschende Wendungen (und Windungen) auf seinem Lebensweg zu erleben. Meine persönliche Erfahrung war zudem immer die: Wenn ich - bewusst oder nicht - eine Abzweigung von meinem inneren Weg versucht habe, hat das Schicksal oder der Kosmos oder wer auch immer jeweils rasch klar signalisiert, dass es sich dabei buchstäblich um einen abwegigen Versuch handle...

Gibt es auch eine "Karriere des Herzens", die Sie (wenn auch nicht äußerlich, so doch innerlich) voranbringt?
Bei echten Grenzgängern ist das innere Fortschreiten, die innerliche Entwicklung und Reifung, die zentrale Dimension. Äußere Erfolge sind ein Spiegel des inneren Reifens. Wird die Karriere in der Außenwelt zum Selbstzweck, verflüchtigt sie sich ziemlich rasch.

Ist es nicht ein Irrtum zu meinen, dass in der Suche nach der Gefahr ein Weg zur Erkenntnis liegt?
Jeder Grenzgänger braucht den Mut, die auf einem eigenen Weg unvermeidlichen Gefahren zu meistern. Mutwillig Gefahren zu suchen, ist jedoch nicht Mut, sondern Übermut, und der tut selten gut.

Woran erkennen Sie, dass Sie nicht weiterkommen?
Es gibt immer innere Signale (Blockierungen, fehlender Antrieb etc.) wie äußere (fehlende Resonanz, Hindernisse etc.), die darauf verweisen, es sei Zeit für eine Pause. Oder dafür, ein Projekt vorläufig auf die Recycling-Halde zu legen.

Was muss sich in Ihnen ändern, damit sich die äußeren Gegebenheiten ändern?
An den Tatsachen können wir nichts ändern, wohl aber an deren Interpretation.

Was ist Ihre Erfüllung?
Ganz im mittlerweile berühmten "Flow" zu sein.

Woran glauben Sie?
An mich. An meine Lieben. An gütige Mächte, die ich weder definieren kann noch will.

Haben Sie einen Traum vom Glück?
Glück ist mir zu flüchtig, zu sehr vom äußeren Zufällen abhängig. Dagegen träume ich sehr wohl von Zufriedenheit, von Gelassenheit, Ruhe, Souveränität. Und freue mich darüber, dass ich diesem Traum immer wieder ein kleines Stück näher rücke, wenngleich auf Pfaden, die manchmal auch Irrungen und Wirrungen enthalten...

 

 

Alexandra Hildebrandt: Die Spur des Grenzgängers. Paderborn (Junfermann Verlag) 2005, ISBN 3-87387-634-5)

"Grenzgänger tragen die Möglichkeiten vieler Daseinsformen in sich und streben nach Erfahrung und Lust, neigen aber auch zu Kontrolle und Planung. Und manchmal ist ihnen ihre Vision wichtiger als Sicherheit, wenn es darum geht, das Neue und Unverfälschte zu suchen. Außerdem sind sie ein Beispiel dafür, dass die Fähigkeit zu bedeutenden kreativen Leistungen nicht mit einem bestimmten Alter in Verbindung gebracht werden kann. Ihrem Leben ziehen sie, dem Lauf ihrer Erfahrungen folgend, so etwas wie einen roten Faden ein. Er ist keine Lebenslüge oder ein Webfehler, sondern gehört in das große Wagnis von Versuch und Irrtum, das sie voranbringt und sich nachträglich als Muster (oder Spur) erweist."

(aus der Einleitung)

 

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