Alles LOHAS oder
was?
Warum die älter
werdende Gesellschaft Nachhaltigkeit nachhaltiger macht
Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde.
Es stellt sich jedoch die bange Frage, ob es sich dabei um einen
vorüber gehenden Mode-Hype handelt wie bei früheren
grünen Trends, oder tatsächlich um einen nachhaltigen
Bewusstseins-Wandel. Optimistisch stimmt, dass der Nachhaltigkeits-Trend
einige seltsame Verbündete hat darunter auch die demografische
Entwicklung zur älter werdenden Gesellschaft.
Das Wissensmagazin "GDI IMPULS"
(www.gdi-implus.ch) schreibt
in seiner Ausgabe vom Herbst 2007:
"Bewusster Konsum ist Mainstream geworden.
Themen wie Nachhaltigkeit, Gesundheit und Umweltbewusstsein liegen
im Trend eines angesagten Lebensstils, der die Reformhaus-Verbissenheit
einstiger Öko-Ideologen durch ein neues Selbstverständnis
des Konsums ablöst. Das aktuelle Zauberwort der Trendbranche
lautet daher LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability
auf Gesundheit und Nachhaltigkeit basierender Lebensstil). Es
bezeichnet stilbewusste, eher gutsituierte Menschen, für
die Technikaffinität und grünes Gewissen, Konsumfreude
und Nachhaltigkeit keine Widersprüche mehr sind.
Sind Konsumfreude
und Nachhaltigkeit keine Widersprüche mehr?
Ihr Konsumverhalten schafft Milliardenmärkte
für Produkte, die ein gutes Gewissen mitliefern. Damit werden
die Lohas zum Vorreiter eines gesellschaftlichen Wertewandels,
der aus den Szene-Vierteln der Metropolen zunehmend in die Mitte
vorstösst."
Trendforscher leben bekanntlich davon, dass
sie ständig irgendwelche Entwicklungen zum fundamentalen
Wandel erklären und darauf herum reiten, bis die nächste
Trendsau durchs Dorf getrieben wird. Vorsicht ist also auch bei
der grünen Welle angesagt. Tiefgrün gefärbte Flammen
der Hoffnung sind in den letzten Jahrzehnten schliesslich schon
ein paar Mal aufgeflackert, ohne dass sie einen Flächenbrand
verursacht hätten. Was also spricht dafür, dass der
Nachhaltigkeits-Trend diesmal nachhaltiger ist?
Zunächst einmal die sprachliche und gedankliche
Verknüpfung von Nachhaltigkeit mit Gesundheit, wie sie im
Begriff LOHAS vorgenommen wird. Gesundheit ist bekanntlich für
die meisten Menschen einer der zentralsten, wenn nicht der wichtigste
Wert. In einer deutschen Umfrage sagten denn auch ehrlicherweise
71% der Befragten, der wichtigste Grund für den Kauf von
Bioprodukten sei der Nutzen für die eigene Gesundheit. (20%
nannten den Nutzen für den Tier- und Umweltschutz, 5% nannten
soziale und politische Gründe.)
Wenn Nachhaltigkeit gut ist für die eigene
Gesundheit, braucht es keine idealistischen Motive mehr, um sich
dafür einzusetzen, purer Eigennutz genügt. Tatsächlich
hat ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein bei vielen zur Einsicht
geführt, dass die eigene Gesundheit ein nachhaltig anzulegendes
Projekt ist, weil sich Investitionen und Sünden langfristig
auswirken.
Apropos Sünden: Schubkraft erhält
die Nachhaltigkeits-Bewegung tatsächlich auch von dem, was
wir säkularisierte religiöse Motive nennen könnten.
Das ganze Geschäft mit den Lohas funktioniert ja im Wesentlichen,
weil diese bereit sind, für in gutes Gewissen gutes Geld
zu zahlen und ein gutes Gewissen ist nun mal eine ursprünglich
religiöse Idee. Allerdings haben wir die Idee vom Jenseits
ins Diesseits verlagert: Wir wollen nun nicht mehr nach unserem
Ableben vor unserem Schöpfer bestehen können, sondern
schon davor vor uns selbst, wenn wir uns im Spiegel in die Augen
schauen. Der in letzter Zeit so sehr aufgewertete Wert der Eigenverantwortung
funktioniert nun mal nur mit einem entsprechenden Kompass, und
dafür eignet sich das gute alte Gewissen noch immer hervorragend.
Sind Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit
mehr als heisse Luft?
Eher kurios mutet in diesem Zusammenhang der
Rückgriff auf ein ziemlich antiquiertes katholisches Prinzip
an, nämlich jenes des Ablasshandels: Wenn das Geld im Beutel
klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt! Für einen eigentlich
unnötigen Flug bezahlen wir das vom Computer errechnete Ablassgeld
in Form einer CO2-Abgabe, und flugs sind wir vom Bewusstsein
befreit, eine Umweltsünde begangen zu haben. Wie praktisch!
Und wie heuchlerisch. Ein wirklich nachhaltiger
Lebensstil ergibt sich aus solchen Ersatzhandlungen nicht. Und
auch nicht allein so steht zu befürchten aus
technischem Fortschritt. Was nützt es, wenn alle Autos sauberer
und sparsamer werden, doch dieser Fortschritt mehr als kompensiert
wird dadurch, dass immer mehr Menschen immer mehr Auto fahren?
Im schon erwähnten GDI IMPULS sagt Kalle
Lasn, einer der Vorkämpfer von Nachhaltigkeit:
"Wir wollen einfach nicht auf unseren
opulenten und dekadenten Lebensstil verzichten. Man sieht das
an fundamentalen Dingen wie unserem Freiheitsbegriff: Wenn wir
unter "Freiheit" vor allem die Möglichkeit verstehen,
jederzeit ins Auto zu hüpfen, um im Laden eine Meile entfernt
eine Cola zu kaufen und dann wieder zurück nach Hause zu
fahren, setzen wir offensichtlich falsche Prioritäten. Wir
fordern Menschenrechte und Individualität ... aber
über unsere eigene Bequemlichkeit wollen wir nicht einmal
nachdenken."
Tatsächlich wird die geschilderte Fahrt
nicht sinnvoller, wenn sie mit einem Hybrid-Auto gemacht wird.
Herr Lasn hat also Recht: Wir werden über einige Dinge noch
sehr viel tiefer nachdenken müssen. Der bisherige Bewusstseinswandel
genügt noch nicht. Ohnehin ist die Geschichte mit dem Bewusstseinswandel
immer eine unsichere, schliesslich tun wir oft genug nicht das,
was wir bewusst als richtig erkannt haben.
Bloss haben wir gar keine andere Chance, als
auf Bewusstseinswandel zu setzen: Nur ein ausreichend klares und
starkes Bewusstsein ist in der Lage, sich gegen die kurzfristigen
Impulse aus anderen Regionen unseres Gehirns durchzusetzen und
für ein nachhaltig verantwortbares Verhalten zu sorgen. Nachhaltigkeit
hat also nur dann eine Chance auf Nachhaltigkeit, wenn der begonnene
Bewusstseinswandel bei den Lohas und bei anderen
weiter und tiefer geht.
Dabei könnte von unerwarteter Seite Hilfe
kommen, nämlich vom Megatrend der älter werdenden Gesellschaft.
Dafür gibt es mindestens drei Argumente:
1. Allmählich setzt sich die demografische
Entwicklung auch in unser Bewusstsein um, das heisst, wir begreifen,
dass wir tatsächlich älter werden. Wir kommen gar nicht
darum herum, auch jenseits der Fünfzig noch etliche Lebensjahrzehnte
einzuplanen. Das erweitert unseren Zeit- und Zukunftshorizont
ungemein, was wiederum das längerfristige Denken und Planen
fördert. Beides ist unabdingbar für ein wirklich nachhaltiges
Bewusstsein.
2. Für eine einzige Cola-Dose ins Auto
zu steigen, und dies als Ausdruck individueller Freiheit zu betrachten,
ist Ausdruck einer Vorstellung von Freiheit, die diese primär
als Möglichkeit sieht, jedem kurzfristigen Impuls, der ein
bisschen Lustgewinn verspricht, hemmungslos folgen zu können.
Dieser Freiheitsbegriff ist typisch für Jugendliche, die
ihre ersten tapsigen Gehversuche im Reich der Freiheit unternehmen.
Etwas ältere Semester betrachten ihn dagegen mit Recht als
ziemlich unreif.
Nachhaltigkeit dagegen ist ein typischer reifer
Wert. Und reife Werte sind im Kommen. Wenn eine Gesellschaft älter
wird, verändern sich zwangsläufig auch ihre Werte. Das
muss nicht zwangsläufig heissen, dass alle immer reifer werden,
aber die Chancen zur Reifung steigen mit zunehmendem Alter eben
doch. So ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Leitwerte unserer
Gesellschaft sich insgesamt hin zur Idee der Reife bewegen, hinter
der als noch verlockenderer, wenngleich auch noch schwieriger
zu erreichender Horizont das Fernziel Weisheit auftaucht. Das
begünstigt auch den Wert Nachhaltigkeit, denn eine nicht
nachhaltige weise Gesellschaft ist undenkbar.
3. Unsere Gesellschaft im wohl situierten
Europa wird nicht nur demografisch älter. Sie nähert
sich in ihrer Entwicklung auch unaufhaltsam einem Sättigungspunkt,
nämlich jenem des materiellen Fortschritts. Die bisher unangefochtene
Antriebskraft, immer mehr vom Selben haben zu wollen, verliert
an Glanz und Schwung, und vermag immer weniger, Identität,
Orientierung und Sinn zu stiften. Diese unentbehrlichen Ressourcen
unserer geistig-seelischen Gesundheit müssen also anderswo
gesucht werden.
Daraus ergibt sich unausweichlich ein starker
Trend von den materiellen zu den immateriellen Werten, von Geld
zu Geist, und damit auch von Quantität zu Qualität.
Statt unseren Lebensstandard immer weiter zu erhöhen, wollen
wir jetzt und in Zukunft noch stärker eine bessere Lebensqualität.
Die Idee Lebensqualität umfasst viele
Aspekte, sicher aber immer auch jenen der Nachhaltigkeit. Denn
es gibt keine Lebensqualität ohne jene der anderen, Lebensqualität
ist langfristig angelegt, und zu Lebensqualität gehören
unabdingbar körperliche Gesundheit und geistig-seelisches
Wohlbefinden also auch ein gutes Gewissen.
Trendsetter dieser Entwicklung sind nicht
etwa die jungen Jahrgänge, sondern eindeutig die reiferen.
Je älter wir werden, desto mehr rückt die Frage unserer
Lebensqualität ins Zentrum. Reife Lebensqualität ist
kein Widerspruch, sondern ein sehr gut zusammen passendes Paar:
Zwischen fünfzig und achtzig winkt uns die höchste Lebensqualität
(siehe
SensoNet-Ergebnisse). Je mehr Menschen diese Erfahrung machen,
desto stärker rückt Lebensqualität als erstrebenswerter
Leitwert ins kollektive Bewusstsein. Und verstärkt dort den
Bewusstseinswandel in Richtung Nachhaltigkeit.
Dass die grüne Welle diesmal auch glamouröse
junge und schöne Menschen erreicht hat und sich dadurch schneller
ausbreitet, ist wunderbar, sollte uns aber nicht den Blick dafür
versperren, dass ganz wesentliche Impulse für eine wirklich
nachhaltige Nachhaltigkeit von Köpfen ausgehen und ausgehen
werden, auf denen schon graue oder weisse Haare (oder aber gar
keine mehr) spriessen...
Kommt
Grün aus Reife?