Gigerheimat: Worte
Vorträge und Reden

 

Reife als Ressource

Stichworte zu den Keynotes von Dr. Andreas Giger im Rahmen des Panels "Werbung mit Falten".

Es handelt sich hier um Stichworte zur Strukturierung einer freien Rede, nicht um ein wörtliches Vortragsmanuskript !

Wenn jemand zu Ihnen käme mit einer Geschäftsidee, die auf der Überzeugung fusst, die Erde sei eine flache Scheibe - was würden Sie tun ?

Ähnlich überholt und von jeder Unterstützung durch Fakten verlassen ist eine grundlegende Überzeugung in Marketing und Werbung: »Die werberelevante Zielgruppe ist zwischen 15 und 49 Jahre alt«. Vor allem in den elektronischen Medien basieren die meisten Werbegeschäfte noch immer auf dieser Grundlage.

Konsequent zu Ende gedacht bedeutet diese Grundsatz: Wenn jemand seinen fünfzigsten Geburtstag feiert, hört er oder sie schlagartig auf, ein interessanter Konsument zu sein, der es wert ist, dass man ihn umwirbt. Warum ? Weil er schlagartig aufhört zu konsumieren ? Oder weil er nur noch Kukident und Rollstühle kauft ? Oder weil er so stur ist, dass er ohnehin nur noch kauft, was er immer schon gekauft hat ?

Alles purer Unsinn. Die Fakten sind längst bekannt und zugänglich:

  • Menschen ab 50 erweisen sich in vielen Märkten als höchst konsumfreudig.
  • Sie haben mehr als die Jüngeren von den auf den Märkten entscheidenden Ressourcen Geld, Zeit und Aufmerksamkeit.
  • Sie sind die einzige quantitativ wachsende Konsumentengruppe.

Wie kommt es dann, dass diese Fakten immer noch weitgehend ignoriert werden ?

  1. Alter ist nicht sexy. Das gängige Altersbild ist immer noch geprägt von so unerfreulichen Dingen wie Abbau, Defizite, Siechtum und Tod. Gebraucht wird deshalb ein neues Bild von Alter und älter Werden. Mein Vorschlag: Reife.
  2. Marketing und Werbung kommen mir vor wie jener Besoffene, der des Nachts seinen runtergefallenen Schlüssel nicht dort sucht, wo er ihn verloren hat, sondern dort, wo das Licht der Strassenlaterne hinfällt. Übersetzt: Mit jüngeren Konsumenten kennen sich die meist ziemlich jungen Menschen in Marketing und Werbung einfach besser aus, sich in den Kopf reiferer Menschen zu versetzen fällt ihnen entsprechend schwer.

Ausnahmen gibt es natürlich auch hier, und so wurde flugs das Senioren-Marketing erfunden, bald verbrämt durch positiv aufgemotzte Begriffe wie "50plus", "Silver Age" oder "Best Agers". Und so verbreitet sich langsam aber stetig die Einsicht: »50plus ist die ideale Zielgruppe mit Zukunft !«

Doch auch das ist - mit Verlaub - Quatsch. 50plus ist keine auch nur einigermassen homogene Zielgruppe, weil:

  • dazu mindestens zwei Generationen mit sehr unterschiedlichen prägenden Lebenserfahrungen gehören (Mangelbewusstsein und Überflussgesellschaft)
  • der Faktor biologisches Alter die Einstellungen und das Konsumverhalten viel weniger stark beeinflusst als etwa die ökonomische Lage, der Bildungs-Status oder das eigene Wertesystem
  • sich der Megatrend Individualisierung in reiferen Jahren noch viel stärker auswirkt als in jüngeren

Zudem: Reifere Konsumentinnen und Konsumenten sind anspruchsvoll und reagieren sehr sensibel auf plumpe Anmache. Das bedeutet: Sie wollen keine Zielgruppe mehr sein, auf die scharf geschossen wird. Wenn schon, dann wollen sie den ursprünglichen Sinn von Werbung erleben: umworben zu werden.

Solange Menschen ab 50 mit dem beglückt werden, was in manchem Unternehmen ganz unverblümt als "Randgruppen-Marketing" bezeichnet wird, kann sich dieses Gefühl natürlich nicht einstellen. Reife Menschen sind anspruchsvolle Verbraucherinnen und Verbraucher, und zu ihren wichtigsten Ansprüchen gehört der Wunsch, ernst genommen zu werden.

Dieses hohe Anspruchs-Niveau der reifen Konsumenten - der vielleicht entscheidendste Unterschied zwischen den alten Alten und den neuen Alten - lässt sich vom Marketing auf zwei Arten interpretieren:

  • Als Hindernis: »Diese überkritischen Alten haben doch überall was zu meckern !«
  • Als Chance: »Wenn ich die hohen Ansprüche reifer Konsumenten erfülle, bin ich nicht nur in diesem Segment, sondern überall erfolgreich.«

Tatsächlich spricht einiges für die zweite These. Reife Menschen sind erfahrene Konsumenten. Sie wissen, was ihnen gut tut und was nicht. Sie wissen, was sie wollen. Man kann ihnen nichts mehr vormachen. Und gerade deswegen sind sie offen für wirklich überzeugende Angebote.

Noch etwas: Reife Menschen wissen, was Lebensqualität bedeutet, was diese einschränkt und was sie fördert. Und das wird zum entscheidenden Kriterium für den Erfolg auf den Märkten von morgen, denn wie Horx sagt: »Die Zukunft des Konsums lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Alle wirklich profitablen Märkte sind Lebensqualitätsmärkte.«

Das heisst: Wer Lebensqualität vermindert, wird abgestraft, wer sie erhöht, belohnt. Dazu muss man wissen, was für die Verbraucherinnen und Verbraucher Lebensqualität bedeutet. Reife Konsumenten wissen das am besten - und deshalb fragt man am besten sie. Nicht als Datenmelkkühe, sondern als echte Dialogpartner.

Womit die Kurzformel gilt: Von den Reifen lernen, heisst siegen lernen.


Aus der Münchner AZ, 24.10.03

Die graue Zielgruppe: Ran an die Senioren

Sie haben Zeit & Geld: Wie die Werbung die Generation "50 Plus" erreichen will

MÜNCHEN In Tagen, da ältere Menschen hauptsächlich als Opfer von Spar- und Kürzungsbeschlüssen vorkommen, sind die Werber, Medienprofis und Zukunftsforscher längst weiter: Die Alten im Lande sind reicher, konsumfreudiger und agiler, als jede Jammer-Debatte vermuten lässt. Das ist die Erkenntnis einer Diskussionsrunde auf den Münchner Medientagen.

"Best Ager", "Well-off Old People" oder "Silversurfer" wurde die Generation der über 50-Jährigen von den Werbern getauft (Werber sind eine Berufsgruppe, die ohne Englisch zur Sprachlosigkeit verdammt wäre).

"Diese reiferen Menschen haben alles, was man sich von einem Konsumenten wünsehen kann", meint Andreas Giger, Zukunftsforscher aus der Schweiz: "Sie haben Geld, Zeit und Aufmerksamkeit. Die Jungen sind eh immer gestresst." Völlig überholt sei die Fixierung auf die Konsumentengruppe der 14- bis 49-Jährigen. Dafür gebe es reihenweise Belege. So ist der Durchschnittskäufer einer Harley-Davidson 50 Jahre alt. Dennoch scheue sich die Werbung noch immer, diese "einzig wachsende Zielgruppe" anzu¬prechen, kritisiert Giger.

Zwar gibt es mittlerweile auch Frauen mit grauen Haaren in Anzeigen, oft aber wird die Kundschaft falsch angesprochen: "Die Leute reagieren allergisch auf plumpe Anmache." Also bloß nicht: Sie sind 50 und brauchen jetzt eine neue Zahnpasta! "Niemand möchte über sein Alter definiert werden", oder, wie Susanne Kunz, Media Director bei Procter&Gamble, sagt: "Jeder möchte alt werden, niemand möchte alt sein."

Und dafür gibt es objektive Gründe: Noch immer gebe es "die Altersguillotine", sagt Giger. So bekämen beispielsweise über 50-Jährige keinen Immobilienkredit und 70-Jährige keine Leasing-Verträge. Dass 60 Prozent der Unternehmen niemanden über 50 einstellten, hält Giger für "volkswirtschaftlichen Unsinn".

"Alter wird meist gleichgesetzt mit Siechtum, Defiziten, Abbau und Tod." Tatsächlich stünden dem positive Eigenschaften wie Gelassenheit, Souveränität und Selbstbewusstsein gegenüber. Und die muss man stärken, meinen die Werbe-Fachleute. "Die Best-Ager trotzen", meint die Marketing-Expertin Lisa Neuendorfer. Die Alten würden sich zunehmend zu ihrem Alter bekennen, Ansprüche anmelden und sich "selbst was Gutes tun" wollen. Procter & Gamble-Fachfrau Kunz hält die Identifizierung mit dem eigenen Alter für begrenzt: "Alt werden nur die anderen. Eine Erfahrung, die man persönlich auf jedem Klassentreffen machen kann." Und grundsätzlich, das hätten alle Umfragen ergeben, "fühlt sich innerlich nie jemand älter als 35."

Matthias Maus


Andreas Giger (52) ist Sozialpsychologe, Zukunftsforscher und Buchautor aus der Schweiz

Die Erfahrung der Älteren nutzen

Über die Aussichten für Ältere sprach die AZ auf den Münchner Medientagen mit dem Zukunftsforscher Andreas Giger.

AZ: Herr Giger, 60 Prozent der Unternehmer stellen niemanden über 50 ein. Wird sich das ändern?

ANDREAS GIGER: In diesem Jahrzehnt nicht mehr. Mittelfristig schon. Man wird auf die Erfahrung der Älteren nicht mehr verzichten können.

Reagieren die Älteren auf die derzeitige Krise anders als die Jüngeren?

Auf die zweite Krise reagiert man oft besser als auf die erste. Wer mehr erlebt hat, kann mit seiner Erfahrung gelassener reagieren. Das ist übrigens ein Vorteil älterer Arbeitnehmer. Was die aktuelle Krise betrifft, ist die Hilflosigkeit aber eher Generationen-übergreifend.

Sie haben Individualisierung als "Megatrend" bezeichnet. Bedeutet das auf lange Sicht das Ende von Solidarität ?

Das wäre ein Missverständnis. Gerade Lebenserfahrung lehrt, dass man als Egomane oder als Solist eben nicht zufrieden wird. Familienwerte werden auch in Zukunft gelten - auch wenn die Oma vielleicht künftig eher mal nein sagt, wenn sie Enkel nehmen soll.

Wenn die Alten immer mehr werden, bedeutet das auf lange Sicht das Ende des Jugendwahns in Werbung und Medien?

Ich fürchte das Gegenteil! Es wird weniger Jugend geben. Die Volkswirtschaft lehrt: Ein knappes Gut wird wertvoller. Deswegen wird die Werbung weiter darauf setzen.

Interview: mm.


Andreas Giger, Zukunftsforscher, hat besondere Anstrengungen vor sich. Denn die seien notwendig, so der Schweizer Forscher, um Konsumenten ab 50 anzusprechen. Wie im Zuge einer Diskussionsrunden bei den Münchner Medientagen mal wieder bekannt wurde, rückt diese Generation zunehmend in den Fokus der Werbewirtschaft. Die Älteren wollen besonders umworben und nicht allein über das Alter angesprochen werden. Ganz anders als die klassische Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen hätten die Älteren hohe Ansprüche. Wenn sie erfüllt werden, meint Giger, ist die Werbung in allen Altersgruppen erfolgreich. Falls was von der Rente bleibt, versteht sich. (dpa)

Aus der "taz"


 

 

 

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Ausriss aus der Münchner AZ vom 24. Oktober 2003:


 

 

 

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