Office-Centers:
der Ort, an dem Sie künftig arbeiten werden
(erschienen in: Helfrecht-Methodik
, II/99)
Von Dr. Andreas Giger
Die Arbeit der Zukunft wird sich
nicht nur im Was, Wie und Wann von dem unterscheiden, was wir heute
für normal halten, sondern auch im Wo. Dabei wird die überflüssig
gewordene rituelle Versammlung an zentralen Plätzen nicht etwa
durch Tele-Arbeit von zu Hause aus ersetzt werden, sondern eher durch
intelligente Mischformen zwischen traditionellem Büro und Heimarbeit,
die sogenannten "Office-Centers".
Während ich meine Gedanken
zur Frage, wo die Menschen künftig arbeiten werden, zu ordnen versuche,
tobt draußen ein heftiger Schneesturm, und das seit Tagen. Und
wieder einmal preise ich mich glücklich, daß ich eine Möglichkeit
gefunden habe, hier in den Schweizer Voralpen zwischen Bodensee und
Säntis, auf 1000 Meter über Meer, in einem Dorf nicht weit
von einer mittleren Stadt, nicht nur zu wohnen, sondern auch - zu Hause
- zu arbeiten. Und mir dadurch die tägliche Fahrt ins Büro
zu ersparen, die gerade bei solchen Verhältnissen nichts als Streß
bedeutet. Stattdessen kann ich in meinem idealen kreativen Biotop über
die Zukunft der Arbeit denken und schreiben. Telefon und Datenleitung
gewährleisten die nötige Kommunikation mit der Redaktion von
"methodik".
So bestechend erscheinen auf
den ersten Blick die Vorteile dieses Modells, daß die meisten
Prognostiker von einer großen Zukunft der sogenannten Tele-Arbeit
ausgehen. Weil in der Informationsgesellschaft sich immer mehr Menschen
ausschließlich mit dem nichtstofflichen "Rohstoff" Information
beschäftigen, und weil dieser Rohstoff heutzutage dank Mobiltelefonen,
Internet und ähnlichen Errungenschaft buchstäblich überall
zur selben Zeit verfügbar ist, gibt es tatsächlich für
all diese "Knowledge Worker" keinen vernünftigen Grund mehr, sich
täglich auf eine längere Reise in ein zentrales Büro
aufzumachen und abends dasselbe wieder zurück zu erleben. Ebenso
gut können Sie zu Hause arbeiten, solange ihr PC online mit jenem
von Arbeitgebern, Kunden, Mitarbeitern etc. verbunden ist.
Wenn ein Zukunftsmodell so viele
überzeugende Argumente auf sich vereinigt wie die Tele-Arbeit,
vergessen die Prognostiker leicht eine nicht ganz unerhebliche Frage:
Wollen das die Menschen überhaupt ? (Wenn wir mal von jenen absehen,
die gar nicht können werden, Bäcker zum Beispiel oder Krankenschwestern.)
Dank SensoNet, einem neuartigen
Instrument der Zukunftsforschung der Firma FutureScope GmbH, sind wir
in der Lage, diese Frage zu beantworten. SensoNet ist ein Netz von etwa
300 ZukunftsliebhaberInnen, Menschen wie Du und ich, die sich jedoch
intensiver als andere mit Zukunftsfragen beschäftigen und über
Erfahrungen mit zukunftsträchtigen Entwicklungen, von der Alternativmedizin
über die Chaos-Forschung bis zum Techno-Sound, verfügen. SensoNet
wird regelmäßig dazu befragt, welche Zukünfte prognostiziert,
vor allem aber auch, welche gewünscht werden. Und weil SensoNet
gleichsam die bewußte Vorhut unserer Gesellschaft repräsentiert,
läßt sich aus den Antworten des Netzes recht genau herauslesen,
wohin die Reise gehen wird.
(Mehr dazu im Internet unter
www.forum-futurum.com)
Klar ist eines: Das traditionelle
Modell zentraler Büros ist tatsächlich überholt. Bei
SensoNet kann sich nicht einmal mehr jede(r) Fünfte vorstellen,
auch im nächsten Jahrhundert noch regelmäßig längere
Fahrten einzig für den täglichen Job zu unternehmen. Was im
übrigen nicht heißt, daß man für den Job keine
längeren Fahrten mehr unternehmen will - aber nur, wenn es wirklich
nötige persönliche Meetings sind.
Das bedeutet nun aber keineswegs
den Umkehrschluß, alle wollten ständig zu Hause arbeiten.
Im Gegenteil: Obwohl SensoNet nun wirklich zukunftsorientiert lebt und
denkt, findet sich im Netz so gut wie niemand, die oder der ausschließlich
zu Hause arbeiten möchte, dagegen rund 40%, die das überhaupt
nicht wollen. Der Rest würde gerne mehrheitlich (12%) oder gelegentlich
(45%) zu Hause arbeiten.
Bei näherer Betrachtung
leuchtet das ein. Das eigene Zuhause ist keineswegs immer ein idealer
Arbeitsplatz. Es fehlt an Platz, kleine Kinder stören, die Distanz
zu den familiären Problemen fehlt. Und vor allem ist man isoliert.
Der rein virtuelle Mensch, der ausschließlich online seine beruflichen
Kontakte pflegt, ist vorläufig - von Ausnahmen abgesehen natürlich
- eine Utopie. Die Mehrheit braucht soziale Kontakte auch auf die gute
alte leibhaftige Art. Und das fehlt zu Hause. Weshalb über 80%
von SensoNet eine Mischform vorziehen würden, nämlich je ungefähr
zur Hälfte zu Hause und im Büro.
Doch auch das Büro muß
in diesem Fall nicht unbedingt das klassische zentrale Bürogebäude
der Firma bedeuten , das in der Regel eine ziemlich aufwändige
Anfahrt bedeutet. (Zeitstatistiken zeigen, daß die Reduktion der
Arbeitszeiten in den letzten Jahrzehnten von der beim Pendeln von und
zum Arbeitsort aufgefressen Zeit mehr als kompensiert worden ist....)
Gefragt sind vielmehr kreative und innovative neue Lösungen, welche
die Nachteile der isolierten Tele-Arbeit vermeiden und trotzdem keine
langen Wege erfordern.
Eine mögliche Idee dazu
sind dezentrale Büroinfrastrukturen, die sich Angestellte unterschiedlicher
Firmen, aber auch Freiberufler und Selbständige teilen. Wir haben
die Idee "Office-Centers" getauft und sie als "wohnnahe Gemeinschafts-Arbeitsplätze"
definiert. Die Idee kam bei SensoNet an: 60% fanden sie gut bis super,
jede(r) Vierte kann sich sofort vorstellen, ein Office-Center selber
zu nutzen, weitere 41% täten dies unter Umständen.
Das ideale Office-Center böte
- immer laut SensoNet - etwa 20 Arbeitsplätze. Es sollte Leute
aus unterschiedlichen Branchen vereinen und kann überall entstehen:
in der Fußgängerzone einer Innenstadt, in einem Vorstadt-Gürtel
oder auf dem Land (dann allerdings in Stadtnähe). Das ideale Office-Center
ist kein Großraumbüro, sondern bietet diskret abgetrennte
Arbeitsplätze. Es würde nicht täglich genutzt, sondern
im Schnitt zwei bis drei Tage pro Woche.
Falls Sie es lieber etwas anschaulicher
hätten: Hier wird ein Tag aus dem Leben von Xenia Futura im Jahr
2011 beschrieben. Und Office-Centers spielen darin eine wichtige Rolle:
>Xenia Futura geht heute etwas
früher nach Hause, weil sie ihren Liebsten zu einem Diner erwartet,
das sie sorgfältig vorbereiten möchte. Sie hat den ganzen
Tag im Office-Center gearbeitet. Das ist in ihrem Fall eine ehemalige
Bankfiliale, die heute rund ein Dutzend Arbeitsplätze für
Angestellte verschiedener Firmen, aber auch für eine zunehmende
Zahl von Selbständigen wie Xenia Futura bietet.
Fast alle können das Office-Center
zu Fuß oder mit dem Rad erreichen. Sie üben Tätigkeiten
aus, die man im Grunde überall erledigen kann, sofern man multimedial
und online vernetzt ist. Vor ein paar Jahren hatte man noch gedacht,
viele Menschen würden deswegen zu Hause arbeiten. Das war teilweise
auch der Fall, auch Xenia zieht es für manche Tätigkeiten
vor, ihr kleines Heimbüro zu nutzen - was auch nur geht, weil sie
keine Kinder hat und auch auf sonst niemanden Rücksicht zu nehmen
braucht. Menschen mit Familie hatten zuerst gemerkt, daß die Verlagerung
des Arbeitsplatzes in die eigenen vier Wände keine echte Alternative
zu klassischen Arbeitsformen war, doch auch die zunehmende Zahl von
Singles wollte keine ausschließliche Heimarbeit. Schließlich
ist der Mensch ein soziales Wesen und nicht zum Einsiedler geboren.
Kleinere und mittlere, dezentral
gelegene Office-Centers haben sich so logischerweise als attraktive
Mischung erwiesen: Man braucht keine langen Arbeitswege mehr und ist
doch unter Menschen. Man verfügt über moderne Büro- und
Kommunikationstechnologie und kann sich Infrastruktur teilen. Und man
hat durch die Kontakte mit Menschen aus anderen Firmen, Branchen oder
Tätigkeitsbereichen ständig neue Anregungen.
Xenia Futura weiß, daß
die Geschichte der Office-Centers eine Vernetzungs-Geschichte ist: Richtig
in Schwung gekommen ist die Idee nämlich, als sich einige Unternehmen
zusammengetan haben: Eine Bank und zum Teil die Post haben nicht mehr
gebrauchte Gebäude zur Verfügung gestellt und können
dabei attraktive Preise anbieten, weil die Kommunikationsinfrastruktur
im wesentlichen schon da war. Die Post sorgt zudem für die Logistik
der anfallenden Transporte. Ein großes Elektronik-Unternehmen
hat beschlossen, es handle sich dabei um ein wunderbares Versuchslabor
für alle multimedialen Entwicklungen, und steuert diesen Teil bei.
Eine Firma aus der Lebensmittelbranche hat ein passendes Verpflegungskonzept
entwickelt. Und so fort.
Die aus dieser Kooperation über
Branchengrenzen hinweg entwickelte Kette von Office-Centers hat bereits
ein klares Profil gewonnen: Im Schnitt etwa 15 bis 20 Arbeitsplätze
stehen zur Verfügung, wobei sich die Idee des Großraumbüros
nicht durchgesetzt hat. Statt dessen werden kommunikationsfördernde
Räume angeboten, bei größeren Zentren auch mit bedienter
Cafeteria.
Bei der Auswahl der Mieter wird
großes Gewicht auf die richtige Mischung gelegt, weil genau das
den Reiz der Office-Centers ausmacht. Zum einen ermöglicht sie
anregenden Austausch, zum anderen muß sie stimmen, weil die dort
arbeitenden Menschen miteinander auskommen müssen. Schließlich
gibt es nicht zuletzt durch unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche
einiges zu regeln. Und das setzt eine gewisse Flexibilität voraus.
Xenia ist wie die meisten ihrer
Kolleginnen und Kollegen aus dem Office-Center keineswegs die ganze
Woche über dort anzutreffen, sondern im Schnitt ungefähr die
Hälfte ihrer Arbeitszeit. Heute jedoch, an diesem prächtigen
Frühlingstag, ist ihr die Entscheidung leicht gefallen, bedeutet
doch solches Wetter, daß man sich im Garten, der fast zu jedem
Office-Center gehört, aufhalten kann. Sie liebt diese gleichzeitige
anregende und entspannende Atmosphäre, die ihr kreative Höchstleistungen
ermöglicht, und ist darum froh, daß ihr Office-Center zu
jenen gehört, die für schlechteres Wetter auch über einen
Entspannungsraum mit Liegen verfügen.<
Sie sehen: Das Arbeitsleben der
Zukunft wird auch seine Reize haben. Und für intelligente Arbeitgeber
stecken enorme Potentiale in der Idee der Office-Center.