Gigerheimat: Worte
Über REIFE.CH

 

REIFE.CH - Identität und Sinn stiften

Ein Beitrag aus "Tertianum. Die Zeitschrift für Generationen". Nr. 34, Dezember 2005

Das Internetportal REIFE.CH lädt dazu ein, sich mit dem Leben in Musse auseinanderzusetzen. Jürgen Kupferschmid im Gespräch mit dem Zukunfts-Philosophen Dr. Andreas Giger, der das Angebot vor einigen Jahren ins Leben gerufen hat.

Herr Giger, in der "Herbsternte" von REIFE.CH sprechen Sie vom "Lob der Langsamkeit". Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen dem Prozess des Reifens und der Geschwindigkeit?

Meines Erachtens wird die Beschleunigung in unserer Gesellschaft zu stark gewichtet. Bewusste Reifung erfordert jedoch eine gelegentliche Verlangsamung und eine Distanz zum hektischen Alltagsgeschehen; Entschleunigung ist die Voraussetzung für Reifung. Grundsätzlich ist Beschleunigung nicht falsch, doch es muss auch möglich sein, sich mit seinem Leben in Musse auseinandersetzen zu können.

Mit dem Internet greifen Sie auf ein Medium zurück, das für Geschwindigkeit und Beschleunigung bei der Informationsvermittlung steht. Sehen Sie darin keinen Widerspruch zum Reifeprozess?

Nein. Es steht nirgends geschrieben, dass auf einer Website jeden Tag etwas Neues stehen muss. Und im Gegensatz zu einem Buch lässt das Internet mehr Spielraum. Man kann experimentieren und etwas wagen, was sonst nicht möglich wäre. Zudem hat praktisch jeder die Möglichkeit, das Internet zu nutzen; wir sind also nicht an eine bestimmte Zielgruppe gebunden. Das Internet steht im Zentrum der Kommunikation und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit dem Internetportal REIFE.CH?

Die Beiträge auf REIFE.CH sollen Identität und Sinn stiften. In den verschiedenen Entwicklungsphasen des Lebens erlebt der Mensch unterschiedliche Identitäten. Die Beiträge auf REIFE.CH sollen Impulse geben, in der eigenen Reifung den individuellen Kern zu entdecken und damit Identität zu stiften. Den roten Faden in seinem Leben zu finden, stiftet Sinn: Ich reife, also bin ich.

Elke Heidrun-Schmidt hat für die "Herbsternte" eine Polemik über die "Generation 50plus" verfasst. Wie denken Sie über die Kategorie 50plus?

Eine einheitliche Zielgruppe 50plus schaffen zu wollen ist absurd. Zum einen: Je älter man wird, desto individualistischer wird man. Zum anderen: Man kann nicht die Vorkriegsgeprägten und die sogenannten "Baby-Boomer" - also die Älteren, die nach dem Krieg geboren wurden - einfach in einen Topf werfen. Kein Mensch ist nach seinem 50. Geburtstag anders, als einen Tag davor. Der Reifungsprozess dauert das ganze Leben. Die 50plus-Kampagnen sind Ausdruck eines überholten Zielgruppendenkens.

Steht 50plus nicht auch für das neue Selbstbewusstsein einer Generation?

Selbstbewusstsein benötigt keine Kategorisierungen. Das neue Selbstbewusstsein der Älteren äussert sich zum Beispiel in einem anderen Lebensstil - sei es das Reiseverhalten oder sei es was die Kleidung anbelangt. Das neue Selbstbewusstsein kommt auch in neuen beruflichen Karrieren nach der Pensionierung zum Ausdruck: Ältere Menschen entdecken zunehmend neue Chancen und Potentiale, ohne dabei irgendwelchen Zwängen unterworfen zu sein.

Reife-Autor Fridolin Herzog bezeichnet das Leben als Reifen von der Geburt bis zum Tod. Was zeichnet den Prozess des Reifens aus? Wie wird man im Alltag reifer und gelassener?

Man sollte sich nicht an unerreichbaren Idealzielen messen, was letztlich dazu führt, dass man sich unreif fühlt. Die positive Selbstverstärkung - zurückblicken und sich vor Augen führen, dass sich etwas getan und entwickelt hat - ist eines der besten Mittel, um im Alltag zu reifen. Gelassenheit ist eine Mischung aus eigenem Verdienst und der Gnade. die einem das Leben geschenkt hat.

Ein Beitrag von Ueli Ganz ist dem "Reifen der Wahrnehmung von Musik, Malerei und Sprache" gewidmet. Inwiefern ändert sich die Wahrnehmung im Prozess des Reifens?

Die jugendliche Wahrnehmung sucht das Spektakuläre. Dagegen kann die reifere Wahrnehmung das Aussergewöhnliche auch am Wegesrand sehen. Je älter man wird, desto differenzierter wird die Wahrnehmung, desto mehr Details fallen einem auf und desto stärker wird das Selbstvertrauen in das eigene ästhetische Urteil. Zudem kann man mit zunehmendem Alter auch die übergeordneten Zusammenhänge deutlicher wahnehmen.

Als Zukunfts-Philosoph widmen Sie sich der Kunst des Fragens. Was ist im Moment die zentrale Frage in der Auseinandersetzung mit dem Altern?

Die zentrale Frage lautet, welche Perspektiven angesichts der steigenden Lebenserwartung entwickelt werden, die persönlich und gesellschaftlich Sinn machen. Im Vergleich zu heute wird eine älter werdende Gesellschaft in Zukunft reifere Werte haben - weg vom Geld, hin zum Geist - weg von Quantität, hin zu Qualität, vor allem zu Lebensqualität.

Herr Giger, herzlichen Dank für das Gespräch!


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Magazin für Reife und Reifung

Das Internetportal www.reife.ch versteht sich als "Magazin für Reife und Reifung". Es bietet "Überraschendes und Inspirierendes", das aktuell unter "Herbsternte 2005" zu finden ist. Verschiedene Autorinnen und Autoren haben Beiträge zu Themen wie "Lob der Langsamkeit", "50plus: eine Polemik", "Leben: Reifen von der Geburt bis zum Tod" oder "Vom Reifen einer Vision" verfasst. Das Portal wurde von dem Zukunfts-Philosophen Dr. Andreas Giger (Jahrgang 1951) ins Leben gerufen. Auf der Seite www.reife.ch werden im Monat bis zu 5000 Zugriffe registriert. Die Leserinnen und Leser stammen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum.


Mehr über Tertianum: www.tertianum.ch

 

 

 

 

 

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