Zwischen
Festung und Basislager: Die Zukunft des Wohnens
Auszüge
aus einem Referat des Zukunfts-Forschers und -Philosophen Dr. Andreas
Giger, gehalten am Verbandstag des VdW Bayern am 14. Mai 2003 in Würzburg
Wohn-Utopien
Zur Zukunft
des Wohnens gibt es enorm viel Material. Sie sehen das schon in der
Sprache: Das Wort futuristisch wird oft im Zusammenhang mit Gebäuden,
mit Architektur verwendet. Dabei ist man immer davon ausgegangen, es
käme etwas Futuristisches, also etwas ganz anderes. Das ist der
gemeinsame Nenner, wenn man sich ein paar Wohnentwürfe der Zukunft
genauer anschaut, sie wirken alle sehr futuristisch:
Modell Maulwurf:
Meistens
ausgehend von eher pessimistischen Zukunftsszenarien dass die Erdoberfläche
nicht mehr bewohnbar ist. Bis vor 10 Jahren hat man da in der entsprechenden
Zukunftsliteratur gerne ein Atomdesaster angenommen, seit dem spricht
man eher von Umweltkatastrophen. Das klingt etwas seltsam, aber in dem
Land, aus dem ich komme, waren solche Szenarios jedenfalls für
Katastrophenfälle gar nicht ungewöhnlich. Es gibt in Luzern
einen Autobahntunnel und wenn man dort genau hinschaut, gibt es riesige
Türen an den Seiten und diese Türen führen in riesige
unterirdische Gewölbe, die waren geplant für zehn- bis zwanzigtausend
Einwohner im Katastrophenfalle für den Zivilschutz. Da wurde jede
Menge Geld verlocht, aber keiner hat sich überlegt, was passieren
würde, wenn die Menschen tatsächlich dort leben müssten.
Irgendwann gab es dann eine Übung mit Zivilschutzprofis. Die musste
nach wenigen Tagen abgebrochen werden, weil auch die Profis einen Höhlenkoller
bekommen haben...
Modell Neo-Slums:
Beispiel
eines Szenarios: Die berühmte Golden Gate Bridge in San Francisco
ist nicht mehr für den Verkehr benutzbar und wird als Wohnraum
genutzt, d.h. in all diese Träger, Seile etc. haben die Leute Hütten
rein gehängt aus allen möglichen und unmöglichen Materialien,
eine sehr chaotische Gegend ist daraus geworden...
Modell Termitenhügel:
Angedockt
an unsere bekannten Hochhäuser, die in manchen Zukunftsvisionen
kilometerhoch wachsen, wo also Wabe um Wabe angefügt wird. Auch
da gibt es viele Entwürfe, Pläne und Bilder, aber wenig Realisierung...
Modell Jonas:
Es gibt
eine ganze Menge Entwürfe übers Wohnen, die sehr von organischem
Wohnen ausgehen. Man wohnt dann wirklich wie im Walfischbauch, die Wände
sind nicht mehr gerade, sondern gebogen und beweglich, verändern
sich auch je nach Stimmung. Also man lebt sozusagen in einem Lebewesen
drin...
Modell HAL:
Vielleicht
erinnern sich einige noch an den Film 2001 und an den berühmten
Computer, mit dem man Schach spielen konnte im Raumschiff, also das
Raumschiff war eigentlich der Computer. Es hat dort böse geendet.
Der Computer ist irgendeines Tages durchgedreht und hat die Menschen
bedroht...
Gerade das
letzte Modell ist keineswegs auf Science Fiction-Romane oder Filme beschränkt.
Das Haus von Bill Gates ist tatsächlich voll digitalisiert. Es
reagiert darauf, wer rein kommt, heizt Zimmer nur, wenn jemand drin
ist, hat einen Haufen Flachbildschirme an den Wänden, wo man seine
Lieblingsbilder bestellen kann. Das hat er bewusst auch als Prototyp
künftiger Häusergenerationen gebaut. Und in der Zentralschweiz
gibt es ein gesponsertes voll digitales Haus. Es ist nicht ganz so weit,
dass dieses berühmte Beispiel vom intelligenten Kühlschrank
dort bereits realisiert wäre, der neue Milch bestellt, wenn sie
ausgeht, aber so ähnlich läuft es, es ist also voll digitalisiert.
Das Haus ist ein Anziehungspunkt geworden für viele Fachleute.
Die Familie, die tatsächlich drin wohnt, tut das offensichtlich
gerne, möchte auch gerne nach der Versuchsphase drin bleiben. Allerdings,
dass das auch noch nicht die Zukunft sein kann, sieht man daran, das
der Vater sein Beruf aufgeben musste, weil dieses Haus zu warten praktisch
ein Fulltimejob geworden ist.
Alles was
wir bisher gehört haben, gehört in den Bereich der Utopie.
Utopia heißt wörtlich übersetzt: kein Ort, nirgendwo.
Das heißt also, eine Utopie beschreibt eine Zukunft, die so nie
kommen wird, weil sie keinen Realitätsbezug hat. Genau das sehen
wir bei all diesen Wohnentwürfen, sie haben keine wirkliche reale
Grundlage.
In meiner
Eigenschaft als Zukunftsforscher habe ich ein Prinzip entwickelt. Ich
nenne das die Beobachtung der Vorhut: Wenn Sie wissen wollen, wohin
ein ganzer Haufen geht, müssen sie nur schauen: Wohin geht die
Vorhut ? Und genau diese Vorhut befrage ich seit sieben Jahren regelmäßig
über ihre Zukunftsvorstellungen und Wünsche. Dabei kann man
zu zwei Ergebnissen kommen: Wenn eine Zukunftsidee bei dieser Vorhut
das sind ca. 10 % der Bevölkerung ankommt, lohnt
es sich hin zu schauen. Weil man dann davon ausgehen kann, dass irgendwann
auch die Mehrheit in diese Richtung folgen wird.
Wenn aber
Zukunftsideen bei dieser Vorhut schon nicht ankommen und kein Echo auslösen,
kann man auch die Idee gleich beiseite legen, jedenfalls für eine
ganze Weile. Wenn nicht mal die Vorhut überzeugt ist, wie sollte
es dann die Mehrheit überzeugen ?
Genau dieses
Netz von zukunftsinteressierten Menschen (www.sensonet.org) habe ich
in der ersten Befragung nach ihren Wunschträumen in Sachen Häusern
gefragt. Dabei habe ich ganz bewusst fünf relativ extreme Häusertypen
geschildert und gefragt, wie viel Prozent dieser Vorhut interessieren
sich dafür, mehr darüber zu erfahren.
Ganz am Schluss
der langen Liste stand das Esoterikhaus. "Schwingungen" (so war
es beschrieben) "und Energien werden nach altem geomantischem Wissen
geformt". Interesse bei der Vorhut: 18 Prozent - zu vernachlässigen.
An zweitletzter
Stelle kommt schon dieses berühmte intelligente Haus. "Reguliert
sich selber voll elektronisch, dreht Heizung runter, wenn sie rausgehen,
analysiert sogar automatisch ihren Urin und meldet Störungen dem
Hausarzt". Trotz dieser Perspektiven interessierten sich auch dafür
nur 20Prozent dieser Vorhut.
Das pure
Ökohaus. "Es werden ausschließlich natürliche Materialien
wie Lehm und Stroh verwendet. Gebaut wird nach traditionellem Wissen
der Urvölker" auch das interessiert nur 27 Prozent.
Jetzt wird
es schon interessanter. 47 Prozent haben Interesse angemeldet am Hightech-Haus.
Das ist nicht das digitale Haus. Es wurde beschrieben als "nach neuestem
Stand der Technik z.B. mit Glas das sich selbstständig reguliert,
also die Blendwirkung oder die Isolationswirkung selbstständig
reguliert". Da gibt es einen gewissen Bedarf. Wohnen muss nicht ausschließlich
auf grün ökologischen Grundlagen beruhen, sondern man ist
da durchaus bereit, die technische Fortschritte mit zu machen.
Was allerdings
bei weitem am besten ankam war das autarke Haus: "Ist in Sachen
Energie dank intelligenter Bauweise weitgehend selbstständig".
83 Prozent unserer Vorhut hätten sich dafür interessiert.
Das war vor sieben Jahren, aber es gibt diverse Indizien, die dafür
sprechen, dass sich an solchen Sachen so schnell nichts ändert.
Wohnen
ist konservativ
Wie kommt
es nun, das Utopien im Gegensatz zu anderen Gebieten im Bereich des
Wohnens keine große Chance haben ? Wohnen gehört neben Essen
und Trinken und Sex zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Wir
sind genetisch nicht so ausgestattet, dass wir fähig wären,
draußen auf längere Zeit zu überleben, wir brauchen
diese Hüllen.
Und dabei
sind natürlich auch viele Emotionen und Gefühle im Spiel.
Der Mensch braucht eben nicht nur ein Dach über dem Kopf, er braucht
eine Behausung, und hinter Behausung stecken Gefühle wie Sicherheit,
Geborgenheit, die Möglichkeit, Intimität zu finden, ein Privatleben
zu pflegen.
Mit Wohnen
sind alle möglichen Gefühle verbunden, und überall da,
wo so viele Gefühle drin stecken, wo es um so elementare Grundbedürfnisse
geht, ist der Mensch in der Regel konservativ. Also es sind keine Revolutionen
zu erwarten. Soviel steht fest im Bereich des Wohnens.
Eigentlich
seit den Höhlenbewohnern regiert das gute alte Schachtelprinzip:
Die Höhle bildete eine äußere Hülle, und sobald
die Höhlenbewohner die Möglichkeit hatten, mit Fellen und
Mammutknochen, haben sie sie auch intern aufgeteilt in die Vorläufer
der Zimmer. Später dann, als der Mensch sesshaft wurde, hat er
sich seine Höfe gebaut, rechteckige Schachteln, am Anfang meistens
nur ein Raum, wo sich alles abgespielt hat, und sobald ein bisschen
mehr Wohlstand da war, ist diese Hauptschachtel unterteilt worden in
Unterschachteln, und man hat eine Menge Schachteln angebaut bis hin
zum Zivilisationsfortschritt von großen Schlössern.
Aber auch
die sind eigentlich nur zusammengefügte Schachteln. Es scheint
einfach, dass sich hier ein Grundmuster, nämlich das des Rechtsecks
mit einer gewissen Höhe so bewährt hat, dass keine anderen
Alternativen sich anbieten.
Revolutionen
sind keine zu erwarten im Bereich des Wohnens, aber natürlich geht
die Evolution weiter.
Wohnung:
Basislager oder Lebensmittelpunkt ?
In der Zeit
der sogenannten New Wconomy wurde ein neues Lebensmodell propagiert.
Das Modell des Lebensunternehmers als jemandem, der sein Leben managt
wie ein Unternehmen, also das, was heute zur Ich-AG geworden ist. Damit
haben sich ganz bestimmte Vorstellungen verbunden. Das waren hochqualifizierte
Leute, hoch mobil, aber auch ein bisschen egozentrisch, sehr stark auf
ihre Berufskarriere bedacht, weniger auf klassische soziale Werte, sondern
Karriere über alles. Dieser Lebensunternehmer, den ich dann umgetauft
habe in Lebensgestalter, galt als der Prototyp der Zukunft. Bald seien
wir alle Lebensgestalter. Dazu habe ich eine umfangreiche Befragungsstudie
durchgeführt, d. h. ich habe meine Leute gefragt: Wie stellt ihr
euch so einen Lebensgestalter vor ?
Neben vielem
war da auch eine Frage zum Wohnen drin: "Sind die eigenen vier Wände
für die Lebensgestalter eher Lebensmittelpunkt oder eher Basislager
?" Basislager ist nicht mehr der Lebensmittelpunkt, es ist nicht mehr
das eigentliche Zentrum des Lebens, sondern etwas Nachrangigeres. Diese
Projektion ("Was stellen sie sich vor unter einem Lebensgestalter ?")
brachte ein deutliches Bild. Wenn wir jeweils sechs nehmen als Gesamtheit,
dann sagten drei, selbstverständlich sei die Wohnung für die
Lebensgestaltung nur Basislager. Zwei von drei sagten, es ist sowohl
Basislager als auch Lebensmittelpunkt. Nur einer von sechs meinte, auch
für Lebensgestalter sei die Wohnung wirklich der Mittelpunkt.
Klugerweise
habe wir auch noch gefragt, wie sie es denn selber hätten. Sie
haben sich zwar teilweise als Lebensgestalter gesehen, aber eben nur
teilweise. Da war es nun plötzlich und ich rede immer noch
von unserer Vorhut, d.h. bei der Bevölkerungsmehrheit wird es noch
drastischer sein - genau umgekehrt. Dort sagte die Hälfte "Nein,
für mich ist die Wohnung eindeutig Lebensmittelpunkt !" Nur einer
von sechs sagte, ja, sie sei deutlich Basislager, und zwei von sechs
sagten, sie sei beides. Das war vor fünf Jahren.
Ganz aktuelles
Ergebnis einer Wiederholungsfrag: genau dasselbe. Es hat sich nichts
geändert. Noch immer ist auch für diese Vorhut, für diese
Zukunftselite, die Wohnung primär Lebensmittelpunkt und nicht nur
Basislager.
Dann habe
ich dieses Mal noch gefragt: "Wie hat sich das entwickelt und wie wird
es sich entwickeln ?" Der Trend ist klar. Vor zehn Jahren meinten die
Leute, aus heutiger Sicht sei ihre Wohnung noch mehr Basislager gewesen,
weniger Lebensmittelpunkt als heute. In zehn Jahren wird sie noch sehr
viel mehr Lebensmittelpunkt sein als heute. Ein klarer Trend: Die eigenen
vier Wände sind ganz zentral im eigenen Leben. Das ist natürlich
ein ganz zentraler Punkt. Denn wenn etwas zentral ist im Leben, dann
ist es wichtig, dann ist es einem etwas wert, dann ist man bereit, auch
etwas zu investieren.
Aber auf
der anderen Seite gilt auch: Überall dort, wo einem etwas wichtig
ist, wachsen auch die Ansprüche, da hätte man gerne jeweils
das Optimum.
Wachsende
Ansprüche
Sicherheit:
Ich gehe
nicht davon aus, dass wir wieder ins Mittelalter zurückkehren,
wo die Ritterburgen ja bekanntlich alles andere als bequem oder gemütlich
waren, höchstens sicher. Aber steigende Ansprüche an die Sicherheit
des Wohnens sind zu erwarten sind. Es wird nicht so sein wie in Amerika,
wo es ja bereits geschlossene bewachte Wohnsiedlungen gibt. Das sehe
ich hierzulande höchstens als Ausnahmefall. Aber dass grundsätzlich
das Sicherheitsbedürfnis eher steigt als schwächer wird, ist
angesichts der Weltlage weiter nicht erstaunlich.
Gesundheit:
Gesundheit
wird nicht nur als rein körperliche Gesundheit verstanden, sondern
als umfassendes Konzept, das auch geistige und seelische Aspekte mit
einschließt. Das wird zweifelsohne ein sehr starker Trend bleiben.
Es gibt sogar Wirtschaftsforscher, die sagen, die psycho-soziale Gesundheit
wird der nächste Antriebsmotor unserer Wirtschaft werden.
Was bedeutet
das fürs Wohnen? Zum einen sicher eine zunehmende Sensibilisierung
für gesundheitsschädigende Einflüsse des Wohnens. Das
heißt, Aufmerksamkeit ist angebracht. Aber das ist nur defensives
Abwehren von Gesundheitsschäden. Die Leute werden verstärkt
nicht nur keine gesundheitsschädigenden Einflüsse wollen beim
Wohnen, sondern solche, die Gesundheit und Wohlbefinden fördern.
Dazu werden verstärkt auch Dinge, die nicht direkt den Körper
betreffen, gehören. Wie immer wir es nennen wollen, ob nun spirituell,
geistig was auch immer- solche Elemente werden stärker werden.
Von diesem Esoterik-Haus wird etwas bleiben, das ist das berühmte
Feng Shui. Es wird ein gewisses Bewusstsein dafür wachsen, dass
auch die Anordnung von Räumen, Fenstern usw. aber auch intern die
Anordnung der Einrichtung, einen Einfluss hat aufs eigene Wohlbefinden.
Das wird ähnlich selbstverständlich werden wie es heute selbstverständlich
geworden ist, das man sich zum Spass Tarotkarten legen lässt. Es
wird sicher nicht die ganze Bevölkerung erfassen, aber ich denke,
hier lohnt es sich, weiter hin zu schauen.
Komfort:
Gewisse steigende
Ansprüche in Sachen Komfort sind sicher zu erwarten. Allerdings
sehe ich da keine überbordende Entwicklung. Nicht zu vergessen
ist das, was wir als Ästhetik bezeichnen könnten.
Ökologie:
Dabei geht
es eigentlich im wesentlichen darum, dass man als Wohnungsmieter, allenfalls
auch als Besitzer, gern ein gutes Gewissen hätte. Das man wohnen
kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil umweltschädliche
Bauverfahren angewendet wurden oder weil gar irgendwelche ethisch unappetitliche
Produktionsmethoden dahinter stecken, wie Kinderarbeit in der dritten
Welt. Es geht gar nicht so sehr um pure Ökologie, sondern es geht
wirklich darum, ein gutes Gewissen behalten zu können, auch beim
Wohnen.
Technologie:
Hier dürften
die Erwartungen noch steigen, dass man jeweils das modernste Material
verwendet, also wirklich auf dem Stand der Technik baut. Es geht viel
mehr um Materialien, es geht z.T. sicher auch um die einfache Steuerung
von Heizungen etc., die man gerne ans Haus delegieren würde. Sicher
aber geht es nicht um die Volldigitalisierung.
Luxus:
Luxus, das
sind nicht mehr die goldenen Wasserhähne. Luxus ist Raum, Luxus
ist Ruhe und Stille. Aber es kann auch das Gegenteil sein. Es kann auch
sein, Luxus heißt interessante soziale Anregungen in der Umgebung
der Wohnung. Sicher werden diese Ansprüche steigen, wobei auch
klar ist, Luxus war immer etwas, was sich nur eine Minderheit wirklich
leisten konnte. Die große Mehrheit hat ein bisschen davon abbekommen,
wünscht sich auch mehr davon.
Einfachheit:
Es gibt in
den deutschen Sachbuchbestsellerlisten seit zwei Jahren ein Buch, das
sich hartnäckig in den obersten zehn hält, das heißt
.Simplify your Life - Vereinfache dein Leben. Das geht vom besseren
Aufräumen des Schreibtisches über das Ausmisten beim Mobiliar
bis hin zum Ausmisten im Oberstübchen. Es scheint den Nerv der
Zeit ein ganzes Stück zu treffen. Nicht im Sinne von Askese, von
der Lust am Verzicht. Das ist nicht der Beweggrund. Der Beweggrund ist
wirklich die Konzentration auf das Wesentliche, also das Abwerfen von
Ballast zwecks Erhöhung der eigenen Lebensqualität.
Preis:
Sicher ist,
dass günstige Preise für Wohnungen eine starke Erwartung sein
werden, und dass auch die Preiselastizität nicht unendlich ist.
Wohnen ist nicht nur ein zentrales Bedürfnis. Wir geben tatsächlich
auch größere Teile unseres Einkommens dafür aus, und
das kann natürlich nicht ewig so weiter gehen im Sinne von Steigerung.
Zukünftiger
Raumbedarf
Was bedeutet
das alles für die Anzahl der Schachteln ? Was bedeutet das für
die benötigten Flächen ? Wie wird sich das entwickeln ? Da
hat sich bisher eine Menge getan: Wir leben hier verglichen mit anderen
Kulturen sehr komfortabel. Wir haben bereits heute sehr viel Platz pro
Person. Die Frage ist: Geht dieser Trend noch weiter ? - und bis wohin
? Es spricht einiges dafür, dass er noch weiter geht aber
er wird auch nicht bis zur Unendlichkeit wachsen. Zum Beispiel auch
wegen dieses neuen Bedürfnisses nach Einfachheit. Also der Raum
um einen herum wird sicher nicht unendlich ausgedehnt werden, aber er
dürfte sich noch steigern.
Warum? Wegen
dem, was sich die demografische Entwicklung nennt. Die Demografie beschreibt
ja nichts anderes als die Bevölkerungsentwicklung. Welche Gruppen
sind wie zahlreich und wie leben die Leute zusammen ? Diese demografische
Entwicklung führt ganz eindeutig zu einer Reduktion der durchschnittlichen
Anzahl Mitglieder eines Haushalts. Klar ist, pro Haushalt sinkt die
Zahl der darin Lebenden. Das erhöht automatisch den Bedarf nach
Wohnraum: Je weniger Leute in einer Wohnung leben, desto größer
ist der Bedarf nach den Grundflächen, d.h. kleinere Haushalte brauchen
pro Person mehr Fläche.
Was heißt
diese demografische Entwicklung im Einzelnen ? Zum einen, weniger Kinder.
Die Reproduktionsraten in Deutschland, der Schweiz und Österreich
sind relativ ähnlich auf sehr tiefem Niveau. Ungefähr bei
1,4 Kindern pro gebärfähiger Frau, also weit unterhalb dessen,
was es brauchen würde, um die Bevölkerungszahlen aufrecht
zu erhalten. Dann hat die gesellschaftliche Entwicklung dazu geführt,
dass es wesentlich mehr Alleinerziehende gibt. Hohe Scheidungsraten
in Großstädten wird mittlerweile jede zweite Ehe geschieden
-, dann gibt es deutlich auch mehr kinderlose Paare, egal ob verheiratet
oder nicht, wegen der gerade hierzulande doch manchmal einseitig zu
entscheidenden Frage: Beruf oder Kinder. Das ist in anderen Gesellschaften
etwas anders, wo die Gesellschaft mehr hilft, beides zu haben, Frankreich
oder Skandinavien beide haben deutlich höhere Geburtenraten.
Gerade bei
Ihnen wird die klassische Familie mit beiden Eltern und zwei Kindern
dennoch sicher nach wie vor eine wichtige Gruppe ihrer Klientel sein.
Aber auch bei dieser Gruppe verändern sich die Raumbedürfnisse.
Beispielsweise wissen wir, dass das, was früher selbstverständlich
war im Familienleben, nämlich die gemeinsame Mahlzeit, gemeinsam
am Tisch sitzen und essen, immer mehr ausstirbt. Im Zeitalter der Mikrowelle
verpflegt sich jeder immer mehr selber, wann es ihm gerade passt.
Dann wissen
wir auch, dass die Hoheitsgewalt über die Fernbedienung ein ganz
zentraler Konfliktpunkt ist in vielen Familien. Auch dort geht der Trend
zur Individualisierung, jeder wird halt immer mehr in seinem Zimmer
einen eigenen Fernseher haben. Und, obwohl aus den Blütenträumen
der New-Economy, dass wir alle bald nur noch alle zuhause arbeiten,
nichts geworden ist, steigt langsam aber kontinuierlich der Bedarf nach
Arbeit zu Hause. Sei es, dass man vielleicht mal einen Tag in der Woche
zu Hause arbeitet, dass man seine Weiterbildung ein Stück weit
zu Hause betreiben muss, oder auch dass man seine immer anspruchsvoller
werdende private Administration erledigt. Damit steigt auch dort sicher
der Raumbedarf im Sinne von Arbeitsräumen. Also auch bei Familien
wird es Veränderungen geben: weniger Gemeinschaftsräume, mehr
Individualräume.
Singles
Bei den Singles
haben wir immer noch im Kopf die jungen Dreißigjährigen,
die man in Fernsehserien wie Sex in der City beobachten kann, freiwillige
Single selbstverständlich, ein reiches, sehr angenehmes, sehr attraktives
Leben. Das ist nicht die Realität. Mein Netz meint deutlich, diese
Lebensform werde eher wieder abnehmen. Die Attraktivität dieses
freiwilligen Singledaseins wächst nicht weiter, sie wird eher wieder
abnehmen. Das heißt nicht, dass es weniger Singlehaushalte geben
wird, im Gegenteil, doch das sind dann die Älteren, oft genug unfreiwilligen
Singles. Es gibt eine weitere Zunahme an unfreiwillig Alleinlebenden,
und das wird sich auch auf den Wohnungsmarkt auswirken.
Die älter
werdende Gesellschaft
Wir werden
älter, und das heißt auch, weil unten weniger Kinder nachwachsen,
wird auch der relative Anteil der älteren Personen wachsen, und
das sind dann eben sehr oft entweder noch Paare, die zusammen leben,
oder Singles.
Dabei muss
es nicht unbedingt bleiben. Einer der interessantesten Zukunftsmärkte
im Wohnbereich wird der sein, wofür es eigentlich noch keinen geeigneten
Namen gibt. Man spricht manchmal von Alterswohngemeinschaften. Aber
weil die WG doch ein Modell ist, das sehr stark von studentischen Erfahrungen
geprägt ist, passt es eigentlich nicht. Es ist nicht das, was ein
gestandenes Mannsbild oder eine reife Frau will, so wie als Student
zusammen zu leben. Andererseits wird der Bedarf sehr wohl wachsen, näher
zu rücken, nicht so isoliert zu leben, als älterer Single.
Wohnungsgemeinschaften sind etwas, was viele Leute sich überlegen
und ernsthaft diskutieren im Hinblick auf ihre eigene Lebensplanung.
Das wird
natürlich auch neue Herausforderungen stellen an Kreativität,
an Innovation. Viele ältere Leute möchten z.B. sehr wohl weiterhin
ein Sozialleben pflegen. Dazu gehört eigentlich auch, dass man
in der Wohnung ein Gästezimmer hat, nur wer kann sich das noch
leisten ? Aber warum soll man nicht ein Gästezimmer pro zehn Wohnungen
haben, was man sich teilt. Das müsste allerdings auch angeboten
werden...
Dann wird
diese älter werdende Gesellschaft neben dem reinen Wohnen noch
zusätzliche Erwartungen generieren wie z.B. mehr Serviceleistungen,
was man das Concierge-Modell nennen könnte, also das bestimmte
Verrichtungen, Kontakte etc. abgenommen werden vom Wohnungsanbieter.
Andererseits
muss man klar sagen: Es wird nicht mehr so sein, das Älterwerden
automatisch das Bedürfnis nach mehr Ruhe bedeutet. Früher
war das so, man ging aufs Altenteil in den Ruhestand. Das ist ein Begriff,
der nicht mehr gilt...
Im Moment
gibt es im Schweizer Immobilienmarkt starken Trend, dass Paare Ende
50 immer mehr versuchen, jetzt ihre großen Häuser mit größeren
Landflächen drum rum loszuwerden, um in die Stadt zu ziehen, um
eine kleinere Eigentumswohnung zu kaufen. Dort müssen sie, wenn
sie verreisen wollen, was sie sehr häufig tun und noch tun werden,
einfach nur den Schlüssel rum drehen. Und sie ziehen ganz bewusst
auch in die urbanen Zentren, weil sie dort mehr soziale Kontakte, Anregungen,
Impulse bekommen.
Trotzdem
wird es auch die anderen geben, die vielleicht genau den umgekehrten
Weg gehen im Alter, die sagen nein, jetzt will ich Ruhe und Stille und
gute Luft.
Individualisierung
Das ist eine
der hervorstechendsten Folgen dieser älter werdenden Gesellschaft:
Wir werden noch mehr von dem mitbekommen, was so schön der Megatrend
Individualisierung heißt. Es wird immer weniger feste Lebensmuster
geben, auch weniger feste Lebensphasen. Noch bis vor kurzem war es klar,
es gibt drei Lebensphasen: Ausbildung, aktives Erwerbsleben, Ruhestand.
Heute kann dazwischen eine Zweitausbildung eingeschaltet sein im Erwerbsleben.
Man nimmt mal eine Auszeit, andere werden sicher länger arbeiten.
Diese Phasen werden also immer individueller und entsprechend werden
auch die Wohnbedürfnisse immer individueller. Was sicher heißen
wird: Null acht fünfzehn Angebote werden es immer schwieriger haben,
pfiffige und auch wirklich auf individuelle Wünsche eingehende
Angebote werden größere Chancen haben.
Nun kann
ich mich auch noch gut erinnern an utopische Diskussionen über
flexible Wohnungen, wo jede Wand problemlos zu verschieben war. Man
konnte heute aus dem Badezimmer ein Zimmer für die Modelleisenbahn
machen und morgen umgekehrt. Das hat sich jedoch nie durchgesetzt. Offensichtlich
gilt auch hier: Wände, die mal gesetzt sind, stehen. Das konservative
beharrende Moment setzt sich da voll durch.
Es gibt aber
noch eine andere Betrachtungsweise. Das war jetzt sozusagen der Zeitquerschnitt,
der sagt, ja, es gibt sehr individuelle Bedürfnisse nach Wohnungen.
Wenn Sie das im Zeitlängsschnitt nehmen, also einzelne Biografien,
einzelne Lebensläufe anschauen, dann wird es tatsächlich so
werden, weil es so viele verschiedene Lebensphasen gibt, dass mehr als
bisher unterschiedliche Lebensphasen auch unterschiedliche Wohnbedürfnisse
erzeugen. Als Student hatte ich andere Wohnbedürfnisse als heute
als Familienvater. Als Alleinlebender habe ich andere Bedürfnisse
als wenn ich als Paar lebe und im Alter kann es sich noch zwei bis drei
Mal ändern.
Was könnte
das für die Wohnanbieter bedeuten? Könnte das nicht das bewirken,
was in vielen Wirtschaftszweigen bereits passiert: weniger harte Mauern
und mehr Intelligenz, mehr Dienstleistung ?
Wenn Sie
hier schon eine halbe Million Wohnungen in Bayern verkörpern, warum
sollte ich nicht relativ früh im meinem Leben zu Ihnen kommen und
mit Ihnen gemeinsam eine Lebensplanung machen ? Ich sehe voraus, dass
ich in ungefähr zehn Jahren eine sehr viel größere Wohnung
brauchen werde und dann zwanzig Jahre später wieder eine kleinere.
Können Sie mich dabei unterstützen? Das gilt nicht nur für
Lebensplanung, sondern auch für die spontanen Ereignisse, die den
Wohnbedarf völlig verändern. Da sehe ich im wesentlichen immer
noch einen sehr altertümlich funktionierenden Markt, wo jeder Einzelkämpfer
ist und sich selber wieder etwas Neues suchen muss. Es gibt kaum Angebote,
die es auf anderen Gebieten schon gibt, Laufbahn-Coaching gibt es bereits,
und Ihre finanzielle Vorsorge machen Sie auch immer längerfristig
mit einem Partner zusammen, der Sie gesamtheitlich unterstützt.
Warum sollte es etwas Ähnliches in absehbarer Zukunft nicht auch
im Wohnbereich geben ?
Sie sehen,
es kommen noch diverse Herausforderungen auf Sie zu in der Zukunft des
Wohnens, und das halte ich insgesamt für eine gute Nachricht. Denn
Herausforderungen sind da, um bewältigt zu werden.