Gigerheimat: Worte
Zurück in die ZukunftI

 

Zurück in die Zukunft

Beitrag von Andreas Giger im "Forum",St.Galler Tagblat,. 10. Januar 2004

Im Bestseller von Andreas Eschbach "Eine Billion Dollar" tritt ein Pizza-Kurier ein riesiges Erbe an, das sich über 500 Jahre dank Zins und Zinseszins gebildet hat, um ihm die Erfüllung einer Prophezeiung zu ermöglichen: der Menschheit die verlorene Zukunft wieder zu geben. Nach etlichen Irrungen und Wirrungen findet er heraus, dass es nicht darum geht, der Welt eine bestimmte Zukunft zu geben, sondern ihr die Dimension Zukunft überhaupt wieder zu erschliessen. Denn die Zukunft hätte sich für die meisten Menschen in ein schwarzes Loch verwandelt, undurchschaubar und bedrohlich, und damit völlig ungeeignet, Kräfte für die Bewältigung ihrer Herausforderungen oder gar so etwas wie Vorfreude darauf zu wecken. Ohne diesen Glauben an die eigene Zukunft aber hätte die Menschheit keine.

Trifft diese Diagnose auf die Welt zu, im speziellen auf unsere kleine Schweizer Welt ? Bände spricht zunächst die Tatsache, dass man es hier zu Lande mit einer ausgeprägten Weltuntergangs-Rhetorik bis in den Bundesrat schafft ("Die Zukunft der Schweiz ist so düster, dass ich einfach eingreifen muss."). Diese Stimmungslage hellt sich auch nicht bei einem Blick auf die Produkte des Think Tanks "Avenir Suisse" auf: Da ist nichts zu finden, was Mut machen würde, kein Hinweis auf Stärken und positive Entwicklungen, keine aus vermeintlichen Sackgassen führenden kreativen Ideen, stattdessen Heulen und Zähneklappern über Rentenprobleme und Leseschwächen.

Und das viel beschworene Volk ? Es zeigt allen einschlägigen Umfragen zufolge wieder verstärkten Zukunftsoptimismus. Der Glaube an die Zukunft zieht an und folgt damit dem Trend der Börsenkurse. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn die Börse ist nichts anderes als eine Wette auf die Zukunft. Es ist bekanntlich noch nicht lange her, als diese Wetten in astronomische Höhen jenseits aller Realitäten schossen. In einem kollektiven Rauschzustand glaubten damals tatsächlich (fast) alle an glänzende Aussichten, an eine Zukunft, in der alles ganz anders und vor allem viel besser und reicher sein würde.

Der darauf folgende Kater war unvermeidlich. Wir hatten uns an der Zukunft gleichsam überfressen, und deshalb entsorgten wir sie jetzt radikal. Der eben noch weit offene Zukunftshorizont verengte sich auf drohende Budgetlöcher und Finanzierungslücken. Wo eben noch ein bunter Strauss von Visionen blühte, breitete sich jetzt in den Köpfen die Monokultur eines einzigen, gebetsmühlenartig wiederholten Ziels aus: Kosten senken !

Doch wo er Recht hat, hat er Recht, unser neuer Bundespräsident: Sparen allein ist noch kein Programm. So sinnvoll und notwendig es sein mag, gelegentlich den Speckrollensünden der Vergangenheit zu Leibe zu rücken - Magersucht ist keine attraktive Zukunftsaussicht. Und attraktive, also "anziehende" Zukunftsaussichten brauchen wir Menschen nun mal. Als einziges Lebewesen mit einer bewussten Zukunftsperspektive werden wir nicht nur von der Vergangenheit geschubst, sondern auch von der Zukunft angezogen. Womit die Frage, welche Zukunftsbilder wir im Kopf haben, grosse Bedeutung erhält.

Nach Rausch und Kater sind wir in eine wohltuende Phase von Nüchternheit eingetreten und werden dort wohl auch noch etliche Jahren verweilen. Wir lernen, die Zukunft wieder realistisch zu sehen, als eine Mischung von Risiken und Chancen. Wir verlieren die Illusion, in der Zukunft sei alles ganz anders und neu. Vor allem aber besinnen wir uns verstärkt auf unsere eigene Rolle bei der Gestaltung der Zukunft.

Denn diese ist bedeutsamer, als wir die letzten Jahre gedacht haben, als wir den Eindruck hatten, von der Walze unaufhaltsamen Wandels förmlich überfahren zu werden. Wenn es denn einen Megatrend gibt, der das Leben jedes einzelnen Menschen unmittelbar beeinflusst, dann ist es jener der Individualisierung, der dem Individuum ein bisher ungekanntes Mass an Freiheit bei der Gestaltung des eigenen Lebens - und damit der eigenen Zukunft - gebracht hat. Und im Gegenzug ein bis dato ebenfalls unbekanntes Mass an Eigenverantwortung.

Frei und eigenverantwortlich können und müssen wir somit auch entscheiden, ob wir unser Augenmerk vor allem auf die Gefahren der Zukunft richten wollen, oder auch auf deren Potenziale. Und das hat Konsequenzen. Wer die Zukunft schwarz malt, bekommt mit Sicherheit eine schwarze. Wer sie dagegen vorsichtig optimistisch sieht, erhöht mindestens die Wahrscheinlichkeit einer solchen Zukunft.

Noch wahrscheinlicher wird sie, wenn wir unsere eigenen Räume bei der Gestaltung der Zukunft aktiv nutzen. Ob mein Freundeskreis in fünf Jahren noch existiert, hängt ganz wesentlich davon ab, wie gut ich ihn pflege. Natürlich wird auch in Zukunft vieles mit uns geschehen, doch es bleibt genug übrig, bei dem wir unsere Zukunft in die eigenen Hände nehmen können.

Dabei wird eine Frage unvermeidlich wachsendes Gewicht bekommen: Was ist uns wieviel wert ? Nach welchen Wert-Massstäben richten wir unser zukunftsgerichtetes Handeln aus ? Bei aller Skepsis gegenüber Vorhersagen wage ich eine Prognose für die nächsten Jahre, gerade auch für die Schweiz: Werte werden was wert. Dabei werden altvertraute Werte in neuem Bedeutungszusammenhang steile Karriere machen: Liebe. Treue. Freundschaft. Reife. Lebensqualität. Weisheit.

Über Werte lässt sich nur in einer unaufgeregten Atmosphäre diskutieren. Die Zeichen dafür, dass sich diese auch bei uns allmählich (wieder) ausbreitet, stehen gut.

Andreas Giger, 1951, betreibt seine Einmann-Denkstatt als Zukunfts-Philosoph in Wald AR.

 

 

 

 

 

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