Gigerheimat: A. ist überall (Januar 2005)
Nebelgrenze

 

 

Als der Hochnebel wieder einmal seinem Namen Ehre gemacht hatte und so hoch gestiegen war, dass er selbst auf über tausend Metern, wo A. lebte, die Welt mit seinem feuchten Kleister fast vollständig eingehüllt hatte, beschloss A., wandern zu gehen. Es konnte dabei kaum ausbleiben, dass ihm die Verse von Hermann Hesse in den Sinn kamen:

Seltsam, im Nebel zu wandern ! / Einsam ist jeder Busch und Stein, / Kein Baum sieht den andern / Jeder ist allein.

Na gut, sagte sich A., das hat entschieden auch seine Vorteile. Nur, wer allein sein kann, kann wirklich miteinander sein. Nichtsdestotrotz wäre es jetzt schön, etwas mehr Licht und Weitblick zu haben. Also stapfte A. unverdrossen den nächsten Hügel hinauf, allwo er tatsächlich, wenn er den Kopf in den Nacken legte und gen Himmel blickte, eine Ahnung von Blau sah, und für Augenblicke, die zu kurz waren, um ihnen zu trauen, den Schimmer einer fahlen Sonne.

Mehr war da nicht. Für einen Moment dachte A. daran, sich ins Auto zu setzen und irgendwohin zu fahren, wo er höher hinaus könnte, doch die Vorstellung, dafür erst durch den dichten Nebel stochern zu müssen, trieb ihn zurück nach Hause, wo er sich erst einmal einem süssen Schlummer hingab.

Als er wieder erwachte, war die Nebelgrenze leicht gesunken, und am Horizont war vor einem noch leicht milchigen Blau die vertraute Shilouette des Alpsteins zu sehen. A. genoss den wieder gewonnenen Weitblick, der ihm ganz anstrengungslos zugefallen war, und ihn deuchte, dieses wäre ein wunderbares Gleichnis für den Beginn eines Jahres, das gar nicht anders kann, als sich im Nebel zu verbergen. Vorläufig.

Andreas Giger, Zukunfts-Philosoph, Autor und Fotograf, lebt und arbeitet in Wald AR. Von ihm stammt das 2004 im Appenzeller Verlag erschienene Buch "A. ist Überall – Appenzeller Ein- und Aussichten"

 

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