Ein neues Porträt des Zukunfts-Philosophen
im St.Galler Tagblatt:
Zukunftsphilosoph aus Wald
Im Rahmen einer öffentlichen Vorlesungsrehe
an der Universität St.Gallen referierte Andreas Giger über
den "Megatrend Reife"
"Andreas Giger ist keiner der mit den Wölfen
heult", stellte Professor Christian Belz den Zukunftsphilosophen und
Referenten im Hörsaal A 111 der Universität St. Gallen vor.
ERNST FELIX im St.Galler Tagblatt vom 11. Juni 2003
Der promovierte Sozialwissenschafter Andreas Giger
bezeichnet sich bewusst als Zukunftsphilosophen und nicht als Zukunftsforscher.
"Wie kann man etwas erforschen, das noch gar nicht da ist?", stellt
er die rhetorische Frage. Christian Belz, Professor für Marketing
an der HSG und Geschäftsführender Direktor des Instituts für
Marketing und Handel hatte Andreas Giger eingeladen, die öffentliche
Vorlesungsreihe an der Universität St. Gallen zu eröffnen.
"Andreas Giger ist ein interessanter Kopf, weil er auch Unkonventionelles
in seine Überlegungen miteinbezieht", sagt Belz.
Kein Seniorenmarketing
"Vom Umgang mit dem Megatrend Reife" lautete Gigers
Thema. "Unsere Gesellschaft wird unzweifelhaft älter. Das ist jedoch
noch lange kein Grund, Menschen ab 50 mit einem speziellen Marketing
in die Seniorenecke abzuschieben. Denn auch sie erwarten letztlich dasselbe
wie alle: reife Leistungen", ist Giger überzeugt. Es sei wohl kaum
ein verlässlicherer Trend vorstellbar als jener des Älterwerdens
- nicht nur jeden Einzelnen betreffend, es habe auch die Gesellschaft
als Ganzes erwischt. Die Kombination aus steigender Lebenserwartung
und sinkender Geburtenrate führe dazu, dass das Durchschnittsalter
der Bevölkerung steige, dass es - absolut und proportional - immer
mehr ältere Menschen gebe. Dieser Trend sei auf der ganzen Welt
zu beobachten, in unsern Breitengraden aber besonders stark. "Handelt
es sich bei der älter werdenden Gesellschaft überhaupt um
einen Trend?", richtet Giger die Frage an die Hörerschaft im gut
besetzten Saal AI 11. Die Zunft der Zukunftsforscher sei sich einig,
dass es sich um mehr als einen Trend, um einen Megatrend handelt. "Diese
Unterscheidung ist deswegen nützlich, weil sie den Horizont der
eigenen Handlungmöglichkeiten begrenzt", differenziert Giger. Einen
Modetrend beispielsweise könne man mit einigem Geschick selber
lancieren.
Megatrends nicht zu stoppen
Andere Trends liessen sich zwar nicht selber machen,
wenn aber in irgendeiner Szene einer im Entstehen sei, könne dieser
aufgegriffen und verstärkt werden. "Ein Megatrend dagegen lässt
sich weder erzeugen noch verhindern, weder steuern noch beeinflussen",
so Giger. Als mächtige, sich selbst schaffende gesellschaftliche
Strömung wirke ein Megatrend in allen persönlichen und gesellschaftlichen
Auswirkungen mit ausgeprägten Auswirkungen und Konsequenzen. "Alles
Merkmale, die auf die älter werdende"Gesellschaft zutreffen", macht
Giger deutlich und zieht einen interessanten Schluss: ´Die <Aging
Society> ist ein Megatrend, den man zwar nicht stoppen, wohl aber
nutzen kann." Sechzig- und Siebzigjährige bilden gemäss Giger
eine hochinteressante Zielgruppe. Sie entsprächen längst nicht
mehr dem klassischen Bild der armen Alten. Im Gegenteil, sie verfügten
über mehr flüssige Mittel als alle andern Generationen. Und
noch über ein weiteres Plus: das bei vielen Jungen knappe Gut Aufmerksamkeit,
das immer mehr zur Leitwährung werde.
Zeit und Geld vorhanden
"Voraussetzung für Aufmerksamkeit ist freie
Zeit, und über die verfügt man in der Regel, wenn die berufliche
Karriere ausläuft und die Kinder aus dem Haus sind." Diese Voraussetzungen
seien in höherem Masse in keiner ändern Lebensphase besser
erfüllt als in fortgeschrittenerem Lebensalter, strich Giger hervor.
Für den Zukunftsphilosophen ist es unverständlich, dass dort,
wo die Marketingschlachten ausgetragen werden, nämlich in der Fernsehwerbung,
Menschen ab 50 praktisch nicht interessieren. Gezählt und bezahlt
werden ausschliesslich Kontakte mit 15- bis 49-Jährigen. So, als
ob das Klischee uneingeschränkt gälte, wonach man ab 50 ohnehin
kein Geld mehr ausgebe. Und wenn doch, dann höchstens für
Dinge, die man schon immer gekauft hat. "Diese Haltung ist nicht nur
diskriminierend, sie ist auch falsch", weiss Giger. "Die neuen Alten
ticken anders. Es handelt sich keineswegs um eine homogene Konsumentengruppe,
aber trotzdem um eine höchst attraktive." Die Bedürfnisse
im reiferen Alter würden nach Qualitätsprodukten verlangen,
die das Marketing bisher nur unzureichend aufzugreifen vermochte. "Wir
über 50-Jährige sind vielleicht nicht mehr so schnell wie
20-Jährige. Dafür kennen wir mehr Abkürzungen", kann
sich Giger einen Seitenhieb nicht verkneifen.
Das Appenzeller Vorderland ist für Andreas
Giger seit bald 10 Jahren die lieb gewonnene Wahlheimat. Gerade für
seine Tätigkeit schätzt er das ländliche, hügelige
Gebiet mit guter Aussicht. "Häufig bin ich zu Fuss unterwegs, ideal,
um sich Gedanken zu machen", schliesst Giger.