Keine Greisenherrschaft
Andreas
Giger in einem Interview mit Edith Lier
Beobachter
16/2005, 5.8.2005
Beobachter:
Zukunftsforschung liegt im Trend. Aber was macht ein Zukunftsphilosoph?
Andreas
Giger: Das
Wort ist eine Eigenschöpfung. Streng logisch betrachtet, kann ich
nicht etwas erforschen, was es noch gar nicht gibt. Unter Philosophie
verstehe ich die Kunst des Fragens, in meinem Fall auf die Zukunft bezogen.
Was
halten Sie vom Wort Anti-Aging?
Mir
hat es nie gefallen. Altern ist ein natürlicher Prozess. Niemand
kann ihn erfolgreich bekämpfen. Wir leben besser, wenn wir das
akzeptieren. Für meine Projekte benutze ich deshalb das Wort Reife.
"Falten
werden sexy", liest man auf Ihrer Website www.reife.ch.
Das
ist eine gewisse Provokation. Ich wollte darauf hinweisen, dass es auch
schöne Seiten des Alterns gibt.
Mittlerweile
werden auch Schönheitsoperationen sexy.
Sie
sind salonfähig geworden. Über das Mass kann man sich streiten.
Dass es dereinst Reiche gibt, die quasi ewig leben, weil sie sich alle
möglichen Eingriffe leisten können, schliesse ich nicht völlig
aus.
Steht
uns das Zwei-Klassen-Alter bevor?
Das
haben wir schon mit den sogenannten Babyboomern, die jetzt ins Rentenalter
kommen. Wöhrend die ältere Generation sparsam lebte und möglichst
viel auf die Seite legte, schöpfen die Hochkunjunkturkinder aus
dem Vollen. Als gewiefte Konsumenten lassen sie sich aber nicht mehr
so schnell übers Ohr hauen.
Sie
bezeichnen die "Aging Society" als unausweichlichen Megatrend.
Der
Begriff stammt von einem amerikanischen Forscher. Ein Megatrend ist
immer unausweichlich. Zudem organisiert er sich selbst, hält über
mindestens 20 bis 30 Jahre hinweg an und betrifft alle Lebensbereiche.
In
seinem Buch "Das Methusalem-Komplott" beschreibt der deutsche
Autor Frank Schirmacher einen Krieg der Generationen.
Das
ist für mich zu sehr Panikmache. Ich sehe keine Greisenherrschaft,
sondern einen neuen Generationenvertrag. Ältere und Jüngere
werden sich austauschen: ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Tauchen
die Alten wieder auf dem Arbeitsmarkt auf?
Die
Chancen stehen gut. Die Erfahrung kann man mit der besten Datenbank
nicht kopieren. Mein Lieblingsbeispiel: Ein Junger kann schneller von
A nach B hüpfen, aber der Alte kennt vermutlich eine Abkürzung.
Wer
soll diesen Wiedereinstieg vorantreiben?
Meine
grösste Hoffnung liegt bei den jüngeren Alten kurz nach der
Pensionierung. Von ihen erwarte ich mehr als von Beamtendenkern. Für
zukunftsgerechte Übergangslösungen braucht es Fantasie.
Können
wir die Bezeichnung "in Würde alt werden" begraben?
Ich
finde es nach wie vor eine schöne Formulierung im Sinne von: Jeder
soll nach seiner Façon alt werden.