DIE BEWUSSTSEINS-ELITE

 

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Feedback: Interview mit ChangeX

Dieses Interview erschien am 22. August 2006 im Online-Magazin ChangeX:

Geist ist geil

Lebenskunst statt Geldgier! - Ein Gespräch mit Andreas Giger.

Eine neue Bewusstseinselite sucht ein Leben jenseits des Terrors von Bankkonto, Leitkultur und Konsumzwang. Es geht vor allem um alternative Lebensgestaltung und Lebenskunst. Immer mit dem Ziel einer Verbesserung von Lebensqualität und Lebenssinn. Ein Schweizer Zukunftsphilosoph fragt seit zehn Jahren Menschen nach ihren Zukunftsbildern. Sein Fazit: Der Wandel von Geld zu Geist hat längst begonnen. Zwar wird diese Bewusstseinselite in den Nischen und Zwischenräumen noch mit Nichtbeachtung bestraft, aber ihre Lebensentwürfe und Denkfiguren sind für eine ausgelaugte Gesellschaft attraktiver denn je.

Herr Giger, die These Ihres Buches sorgt für Irritation: Sie sagen es gibt eine Bewusstseins-Elite und Sie sagen die Leser Ihres Buches gehörten vermutlich dazu. Wie erklären Sie das?

Ich meine, dass es an der Zeit ist, den Begriff Elite zu rehabilitieren. Zugleich ist das ein Stück Identitätsstiftung: Ihr seid keine isolierten Spinner, wenn Ihr Euch mit Werten oder Sinn beschäftigt, sondern Teil einer Avantgarde, einer gesellschaftlichen Vorhut. Das ist mit Elite gemeint. Es ist mir klar, dass dieser Begriff noch immer Irritationen auslöst. Aber genauer besehen geht es hier um eine nichtelitäre Elite.

Der Begriff Elite ist das Eine, der andere Punkt ist die Vereinnahmung: Sie behaupten, dass der Leser ebenso wie viele andere noch gar nicht wissen, dass sie zu dieser Bewusstseinselite gehören. Wie kommen Sie zu dieser Idee?

Die Bewusstseinselite definiert sich im Wesentlichen über – wie ich es nenne – Bewusstseinsfelder, also Themen, mit denen man sich bewusst auseinandersetzt. Die Bewusstseinselite zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich mehr als andere Teile der Gesellschaft bewusst mit bestimmten Themen auseinandersetzt. Wenn sie zu diesem Buch greift, dann ist das schon der Tatbeweis dafür, dass sie sich für diese Themen interessiert. Und deswegen gehört sie definitionsgemäß dazu. Aber Mitgliederausweise gibt es natürlich nicht. Jede und jeder kann und muss selber entscheiden, ob sie oder er zur Bewusstseinselite gehört...

Von Elite zu elitär ist es nicht weit. Die eigene Gruppe zur Elite, zum Vorreiter oder Vordenker für die gesamte Gesellschaft zu erklären – ist das nicht elitär? Was macht Sie so sicher, dass es sich wirklich um eine Elite handelt und nicht, sagen wir, um eine esoterische Community?

Von einer Community in einer organisierten Form kann keine Rede sein. Es geht nicht darum Gleichgesinnte zu einer Sekte zu verbinden. Und um Esoteriker im Sinne von Hütern eines geheimen Wissens geht es schon gar nicht, es ist alles transparent.

Zudem wird keineswegs der Anspruch einer grundsätzlichen Vorreiterrolle für die gesamte Gesellschaft erhoben. Eliten sind immer nur für ganz bestimmte Gebiete zuständig und können daraus keinen allgemeinen Anspruch ableiten. Das ist ganz zentral. Eliten gibt es in Fußball, Film, Wissenschaft und so weiter. Das ist ein Modell für die Entwicklung der Gesellschaft auf einem ganz bestimmten, umgrenzten Gebiet.

Es geht also um eine Trendsetter-Rolle in ganz bestimmten Bereichen, nicht für die ganze Gesellschaft?

Genau.

Kommen wir zu den Inhalten: Um welche Themen geht es?

Die Bewusstseinselite, das sind Menschen, die sich bewusst frühzeitig mit Themen auseinandersetzen, die noch nicht auf der allgemeinen Tagesordnung stehen, die aber in der evolutionären Logik liegen. Zu diesen "weichen" Themen der Bewusstseinselite gehören generell die Werte, vor allem aber Lebensgestaltung und Lebenskunst mit dem Ziel der Verbesserung von Lebensqualität und Lebenssinn. Ihre Stärke ist die die sensible Wahrnehmung dessen, was unser künftiges Bewusstsein prägt. Insofern ist sie Vorreiter. Das Interesse im Sinne einer bewussten Auseinandersetzung mit diesen Themen – das macht für mich die Bewusstseinselite aus.

Kann man das im Sinne eines Wertewandels verstehen? Also eines Wandels hin zu postmateriellen Werten, wie Ronald Inglehart dies postuliert hat?

Ja. Doch hat es mit diesem Wandel hin zu postmateriellen Werten noch eine ganze Weile gedauert. Im Grunde war Inglehart mit seiner These in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu früh, aber er lag nicht falsch. Heute lassen sich ganz deutliche Anzeichen eines Wandels in diese Richtung feststellen. Ich spreche auch von einem Wandel von Geld zu Geist. Ein solcher Wertewandel geht nicht gleichmäßig in der ganzen Gesellschaft vonstatten. Sondern es gibt immer eine gewisse Vorhut, und in diesem Sinne kann man die Bewusstseinselite verstehen.

Wie entstand die Idee, dass es so etwas wie eine Bewusstseinselite geben könnte?

Diese Idee ist nicht zu trennen von der mittlerweile zehnjährigen Geschichte des Netzes SensoNet, das selber ein Produkt der kulturellen Evolution ist. Die Idee war, Menschen ausfindig zu machen, die Innovationen schon leben. Und es war immer klar, dass diese Auswahl eine Elite darstellt. Anfangs war dieses Netz noch stark auf Marktforschung ausgerichtet. Es bestand aus Menschen, die sich an Umfragen beteiligt haben – sie kennen einander kaum, sondern sie reagieren auf Fragen. Und es zeigte sich, dass sich diese Leute für bestimmte Fragestellungen interessierten. Das Verbindende sind weniger die Antworten, sondern die Fragen. Das Gemeinsame ist das Interesse an solchen Fragestellungen.

Zunächst haben wir diese Gruppe Zukunftselite genannt, später dann Werteelite – und dann kam die Idee auf, das Netz selber zu fragen. Unter einer ganzen Reihe von Begriffen gab es mit dem Begriff Bewusstseinselite die meiste Identifikation. Es ist klar geworden, dass dieses Netz, das sich als das Sprachrohr einer Bewusstseinselite sieht, nicht wesentlich anders tickt als der Rest der Welt, sich aber eben bewusster mit diesen Themen beschäftigt.

Worin unterscheidet sich die Bewusstseinselite von der Mehrheit der Gesellschaft? Wie tickt sie? Wie denkt sie? Und was zeichnet Sie aus?

Während es immer noch Teile der Gesellschaft gibt, die unverdrossen daran arbeiten, ihre materielle Sicherheit zu verbessern, geht diese Gruppe einen Schritt darüber hinaus. Das ist stark von Verunsicherung und von Suchen geprägt: Was gibt es jenseits des Konsums? Wieweit macht Materielles glücklich? Was gibt es für Alternativen? Das sind Fragen, die die Bewusstseinselite auszeichnen.

Sie nennen Lebenssinn, Lebensqualität, Reife und Weisheit als zentrale Themen. Themen also, die sich um eine kontemplative Selbstfindung im Leben zentrieren. Aber sie nennen auch Themen, wo es um eine aktive Rolle geht: Selbermachen, zum Lebensgestalter werden. Sind das zwei Pole: einmal Ruhe und Findung, dann aktives Gestalten?

Ich würde sogar sagen, diese beiden Pole bedingen sich gegenseitig: das Reflektierende und das Überlegen, wohin will ich, einerseits, und das aktive Tun, jeder an seinem Platz, andererseits. Das ist es, was diese Bewusstseinselite auszeichnet. Die aktive Rolle wird stärker reflektiert als anderswo.

Selbermachen, sein Leben gestalten – wie äußert sich das bei den Menschen, die Sie dieser Elite zurechnen?

Dabei muss man sich die Veränderungen vor Augen halten, die sich in den letzten drei Jahrzehnten abgespielt haben. Zum Beispiel die Form des Zusammenlebens, gründe ich eine Familie? Damals stellte sich diese Frage kaum, gab es diese Wahl nicht. Damals gab es ein paar Außenseiter, die sich anders entschieden haben. Heute kann das jeder für sich selbst bestimmen. Dasselbe gilt für das, was heute so grässlich neudeutsch Work-Life-Balance heißt – also wie gestalte ich das Verhältnis zwischen Arbeit und sonstigem Leben. Natürlich gehört auch das Konsumverhalten im weitesten Sinne dazu. Das sind ganz konkrete Fragen, die von der Bewusstseinselite anders reflektiert werden, als dies bislang der Fall war. Sie ist sich eben bewusst, dass sie diese Wahl hat. Uns sie ist sich bewusst, dass es immer Wertmaßstäbe braucht, um diese Entscheidungen treffen und die Frage nach der Lebensqualität beantworten zu können.

Solche Vorreitergruppen – oder Eliten – gab es in der Geschichte immer wieder, sei es in der Renaissance, in der Aufklärung, in der bürgerlichen und Revolution. Sehen sie hier Parallelen?

Es ist richtig, dass bestimmte Gruppen immer wieder eine Vorreiterrolle übernommen haben. Was heute neu ist: Um dazu zu gehören bedarf es nicht mehr einer fest zugeschriebenen Rolle – etwa Gelehrter an einer Universität zu sein. Heute rekrutieren sich solche Eliten demokratisch. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Klar ist aber, dass es solche Eliten immer brauchte – und braucht.

Die historischen Bezüge in der letzten Frage betrafen sehr epochale Wenden in der Geschichte. Leben wir in einer solchen Zeitenwende?

Von Mittendrin ist das immer schwer zu entscheiden. Vielleicht stecken wir auch noch gar nicht mittendrin, sondern stehen erst am Anfang. Das Projekt der Moderne hat den Raum der Möglichkeiten für den Menschen enorm erweitert, doch es hat sein Versprechen, den Menschen mehr Glück oder gar Sinn zu geben, nicht einhalten können. Das ruft nach alternativer Orientierung. Da wird sicher noch einiges geschehen, wenn auch nicht von Heute auf Morgen.

Sie sprechen von Bewusstseinserweiterung. In den 1970er Jahren war das ein Schlagwort, das vor allem mit Drogenerfahrungen zu tun hatte. Sie sprechen nun von kollektiver Bewusstseinserweiterung.

So wies es ein kollektive Unterbewusstes gibt, gibt es auch ein kollektives Bewusstsein. Wie auch den Begriff der Elite versuche ich auch diesen Begriff auf ursprüngliche Inhalte zurückzuführen. Das Bewusstsein ist ja nichts Festes, sondern kann sich verändern, erweitern – wobei auch das Gegenteil möglich ist. Das gilt für das individuelle ebenso wie für das kollektive Bewusstsein. Dazu bedarf es auch keiner Drogen, obwohl diese Methode Einzelnen durchaus einen Lernfortschritt gebracht hat.

Genauer: Was meinen Sie mit kollektivem Bewusstsein?

Nehmen wir die Schweiz, ein Land, wo nicht nur Wahlen, sondern auch politische Sachabstimmungen stattfinden. Solche Abstimmungen reflektieren, was zu bestimmten Fragen im kollektiven Bewusstsein vorgeht. Dabei gibt es jenseits der addierten Einzelmeinungen so etwas wie ein Schwarmverhalten im kollektiven Bewusstsein – also dass sich die Einzelmeinungen nach Regeln und Prozessen, die wir noch nicht wirklich verstehen, zu einer Gesamtheit anordnen. Einer Gesamtheit, die über eine bloße Addition der Einzelmeinungen hinausgeht. In einem Schwarm weiß der einzelne Vogel auch nicht, warum er gerade dort ist, wo er ist, und sich dorthin bewegt, wo sich das Ganze hinbewegt. Und trotzdem funktioniert es. Das ist ähnlich wie bei einem Hologramm: Wenn man das zerbricht, enthält jedes einzelne Bruchstück dennoch das gesamte Bild, wenn es auch an Schärfe verliert.

Die Bewusstseinselite spielt für das kollektive Bewusstsein eine Spezialistenrolle. Sie ist spezialisiert darauf, Themen aufzuspüren und dafür Bewusstsein zu schaffen. Sie ist Opinion Leader. Dadurch können neue Themen durch eine Minderheit in das kollektive Bewusstsein eingebracht werden.

Schlussfrage zu einem Beispiel in Ihrem Buch: Was haben die Waschmaschine und die Menschenrechte miteinander zu tun?

Beides sind Produkte der kulturellen Evolution, und beide machen das Leben der Menschen besser – was man ja nicht von allen Produkten der kulturellen Evolution behaupten kann. Das Beispiel soll zeigen dass es bei der kulturellen Evolution um ein breitres Spektrum von Themen geht. Und das Beispiel zeigt auch, dass die kulturelle Evolution nicht stehen bleibt.

Interview: Winfried Kretschmer


Ein anderes Interview (St.Galler Tagblatt) finden Sie hier