Ihrer
Zeit voraus - Pioniere der Bewusstseins-Elite
(In
dieser Rubrik werden Texte veröffentlicht, die geschrieben wurden,
lange bevor es den Begriff der Bewusstseins-Elite gab, und die dennoch
auch heute und morgen Impulse geben können. Falls Sie selber solche
Texte kennen, lassen Sie es mich bitte per Mail
wissen.)
Dieser
Artikel erschien als Originalbeitrag erstmals 1986 im Magazin SPHINX,
dessen Herausgeber ich damals war, und wurde 1996, also im Todesjahr
Learys, als erstes "Informationsgeschenk" an die TeilnehmerInnen
von SensoNet abgegeben. Mehr über Timothy Leary am Schluss des
Beitrags.
Hermann
Hesse, ein Prophet des Informationszeitalters
Von
Timothy Leary*
Aus
so manchen inneren und äußeren Gefängnissen ausgebrochen,
ist Timothy Leary selbst ein Meister des Glasperlenspiels mit den unendlichen
Spielformen unserer Welten. Sein »Game of Life« ist ebenso
ein Glasperlenspiel wie Hermann Hesses. Er findet in Hesse eine verwandte
Seele, die gleich ihm die vorhandene DNS-Information nicht als gegeben
hinnimmt, sondern als Aufforderung zum Spiel.
Welcher Hermann?
Wenn ich
wissen will, was die Jugend am College dieser Tage bewegt, dann frage
ich eine junge Freundin, Daisy. Sie ist Studentin in Harvard, zwanzigjährig,
hat einen IQ, der etwa so hoch wie der Dollar- Yen Wechselkurs ist und
nennt einen gesunden Instinkt für das, was kulturell gerade in
ist, ihr eigen. Ich erwähnte den Namen Hermann Hesse in einem Gespräch
mit Daisy, und sie guckte mich erstaunt an. »Tönt nach einem
deutschen Tennisprofi«, sagte sie mit einem leicht säuerlichen
Grinsen.
»Bum
Bum Hesse bekam 1946 den Nobelpreis für Literatur«, erklärte
ich.
Was
sollen diese Albernheiten«, antwortete Daisy, »Hier, jetzt
serviere ich dir eine Knacknuss. Hast du je von Halldor K. Laxness aus
Island gehört?« Was für ein Haldor?Ý kam meine
erstaunte Antwort.
»Eben,
er gewann ebenfalls den Nobelpreis, aber 1955«, seufzte Daisy,
»so stehts heute um die Berühmtheiten aus der Literatur.«
Soviel über die Dauer
der Bedeutung von Philosophen und Feuilletonisten.
Dennoch,
vor nur zwanzig Jahren wurde Hesse von College-Studenten verehrt. Er
galt damals als die Stimme des Jahrzehnts und hatte den Ruf, ein »Über-Weiser«
zu sein, größer als Tolkien oder Kahil Gibran!
In den Sechzigern
wurden Hesses mystisch-utopische Romane von Millionen gelesen. Die Pop-Gruppe
»Steppenwolf« nannte sich nach dem »psychedelischen«
Helden aus Hesses Roman, weIcher jene »langen, dünnen, gelben...
unendlich belebenden Zigaretten« rauchte, und sich danach ins
Magische Theater aufmachte, einen Weg beschreitend, den kein
Romanheld vor ihm beschritten hatte.
Ein anderer
Roman Hesses, »Die Morgenlandfahrt«, brachte Armeen von
Pilgern dazu, sich auf dem »Haschisch-Pfad« nach Indien
aufzumachen. Das Ziel dieses Kreuzzuges der Jugend? Erleuchtung. Kosmische
Einheit. Die große Bewusstseinserweiterung.
Das war die
Zeit, als Sufi-Mystik, inneres Reisen, die atemlose Suche nach der einen
Wahrheit, der letzte Schrei waren. Armer Hesse, er scheint heute, im
Zeitalter des High Tech und der Computer-Zeitschriften hoffnungslos
aus der Mode gekommen zu sein. Kein Wunder, dass mein Detektor für
intellektuelle Strömungen, Daisy, antwortete: »WeIcher Hermann?«
Hermann Hesse, ein Prophet
des Computerzeitalters?
Doch unser
mitleidiges Bedauern für den sauberen Weisen aus der Schweiz könnte
voreilig sein. Denn an den Orten, wo sich die Computer-Avant-Garde zusammenfindet,
in der Gegend von Palo Alto in Kalifornien, in den CarnegieMellon Al
(Artificial Intelligence)-Laboratorien und in den Computergrafik-Laboratorien
des südlichen Kalifornien, scheint sich ein Hesse-Comeback vorzubereiten.
Wie auch
immer, diese Wiederentdeckung hat nichts mit Hesses östlich-mystischen
Werken zu tun. Sie beruht auf seinem letzten und am wenigsten verstandenen
Werk, dem Glasperlenspiel.
Dieses Buch
brachte Hesse den Nobelpreis ein und spielt einige Jahrhunderte nach
unserer Zeit, in einer Zukunft, in der die menschliche Intelligenz sich
weiter entwickelt hat und die Kultur durch eine Methode strukturierten
Denkens getragen wird, die sich das Glasperlenspiel nennt.
Erst in diesen
elektronischen Achtzigern sind die Leser fähig, richtig einzuschätzen,
was Hesse in den Schweizer Alpen sich damals, zwischen 1931 und 42,
ausgedacht hatte. Am eigentlichen Höhepunkt des rauchgeschwängerten
Mechanischen Zeitalters beschrieb Hermann mit der erstaunlichen Präzision
des Hellsichtigen ein bestimmtes postindustrielles Werkzeug, mit dessen
Hilfe Gedanken in digitale Elemente umgewandelt und bearbeitet werden
konnten. Kein Zweifel, der »Vater« der Hippies nahm damit
einen elektronischen Intelligenzverstärker vorweg, dessen Erscheinen
auf dem Markt wir erst 1976 erleben konnten. Ich weise damit natürlich
auf jene Frucht vom Baume der Erkenntnis hin, die da »Apple«
heißt.
Die Aldous Huxley-Hermann
Hesse-Fuge
Ich für
meine Wenigkeit hörte das erste Mal durch Aldous Huxley von Hermann
Hesse. Das war im Herbst 1960, als Huxley Gastprofessor am M.I.T. (Massachusetts
Institute of Technology) war. Angekündigt war eine Reihe von sieben
Vorlesungen zum Thema: »Welcher Art ist die Arbeit, die der Mensch
darstellt?«, An die 2000 Leute hörten jede Vorlesung, und
zwischen den Vorträgen verbrachte Aldous den größten
Teil seiner Freizeit mit unserer Gruppe vom »Psychedelischen Drogenprojekt«
in Harvard. Dabei führte er uns Anfänger in die Geschichte
der Mystik ein und in das, was er »Uneigennützige Gnade«
nannte. Letzteres betraf eine zeremonielle Rücksicht im Umgang
mit den Dingen. In jenem Herbst las Huxley die Werke Hesses und sprach
viel über Hermanns Einteilung in drei Ebenen menschlicher Entwicklung:
1. Der Sinn
der Stämme für eine glückselige Einheit.
2. Die schrecklichen
Polaritäten in den feudal-industriellen Gesellschaften; gut-böse,
männlich-weiblich, christlich-islamisch usw.
3. Die offensichtliche
Wiederentdeckung der Einheit des Universums, der höheren Wirklichkeit.
welche sich mit Worten nicht ausdrücken lässt.
Keine Frage.
Hegels drei Fingerabdrücke (These-Antithese-Synthese ) ließen
sich noch immer auf dem ganzen bekannten philosophischen Gebäude
finden, doch Hermann und Konsorten ließen sich davon nicht abhalten
weiterzugehen, und warum sollten wir unverbildeten Harvard-Psychologen
es tun? Wir alle machten uns pflichtbewusst ans Lesen von Hesses Werken.
Huxley nahm
an, dass seine eigene spirituell-intellektuelle Entwicklung als Engländer
ähnlich verlief wie Hesses sich in Deutschland entwickelnde Lebenslinie.
Eines Nachts, bei einem Glas Wein in meinem Zimmer am Newton-Zentrum,
verwob Huxley in einem Gespräch die Beweggründe in seinem
Leben mit denjenigen in Hesses Leben.
Huxley fasst die literarische
Philogenie zusammen
Huxley wurde 1894 geboren,
sein Großvater, Thomas Huxley, war ein Evolutions-Philosoph und
einer der Hauptverfechter des Darwinismus in England. In seiner idealistisch-romantischen
Jugend schrieb Huxley kritische Essays und symbolische Poesie. Diese
Werke drückten die übliche Unzufriedenheit der gebildeten
Klasse aus, welche damit beschäftigt war, das rußverdunkelte
industrielle Zeitalter zu verdrängen. Eton-Oxfords Ökologisches
Interesse galt hauptsächlich der Landwirtschaft, die rußige
Industrie wurde verachtet. Wordsworth hatte für jene Zeit das »Zurück
zur Natur«- Thema vorgegeben. Coldridge verfolgte es weiter. Byron,
Shelly, Burns, Keats und Southy, einer wie der andere, verabscheuten
die teuflischen Maschinen und strebten nach etwas Blumigerem. Thomas
de Quincy bekam für seine »Bekenntnisse eines Opiumessers«
den Green Preis, der poetischen Kraft seines Werkes wegen. William Blake
war damals der unbestrittene literarische Führer. Aldous Huxleys
Verwurzelung in der Romantik zeigt sich in einem seiner eindeutigsten
Zitate, in der Verwendung von Blakes Worten »Die Pforten der Wahrnehmung«
als Romantitel.
Huxleys Ernüchterung
zeigte sich im Alter von 25 Jahren, als er eine Reihe spröder,
skeptischer Aufsätze über die europäische Dekadenz zu
verfassen begann: Chrome Yellow (1921). Antic Hay (1923). Point Cunter
Point (1928). Sein neoromantischer Zynismus in Bezug auf die bestehende
Gesellschaft gipfelte im Roman »Schöne neue Welt«,
dem Portrait einer freudlosen Fließbandgesellschaft des 25. Jahrhunderts.
Er schrieb in diesem überaus erfolgreichen Roman über Glückspillen
und Retorten-Kinder schon im Jahre 1932, demselben Jahr, in dem Adolf
Hitler seinen ersten Kampf um die Wahl zum Kanzler gegen Hindenburg
verlor, und Roosevelt seinen Wahlkampf gegen Herbert Hoover gewann.
Ende der dreißiger
Jahre, nachdem Huxley seine ironisierende Seite voll entwickelt hatte.
folgte er Hesse in die dritte Ebene der Transzendenz (siehe oben), was
seine Auswanderung nach Kalifornien zur Folge hatte, wo er sich den
Vertretern des Goldenen Zeitalters der »fernwestlichen«
Philosophie anschloss, zu denen Thomas Mann, Christopher Isherwood,
Alan Watts, Swami Yogananda, Gerald Heard u.a. gehörten. Hier,
unter Palmen, widmete Aldous den Rest seines Lebens der transzendentalen
Philosophie und der Mystik, als Denker wie als Ausübender.
Parodien des Paradieses
Sein letztes Buch, »Eiland«,
stellt ein untypisches, tropisches Utopia dar, in welchem Meditation,
Gestalt-Therapie und psychedelische Zeremonien eine Gesellschaft von
buddhistischer Gelassenheit schaffen.
Den Nachmittag des 20. Novembers
1963 verbrachte ich am Bett des kranken Huxley, aufmerksam seiner schwachen
Stimme zuhörend.
Eine literarische Fuge kreierend,
sprach er über drei Bücher, drei »Parodien des Paradieses«,
wie er sie nannte; sein eigenes, Eiland, Orwells 1984 und Hesses Glasperlenspiel.
Er erzählte mir mit
einem sanften Lächeln, dass der »geliebte« Diktator
in Orwells Alptraum-Gesellschaft Churchill nachempfunden sei. »Erinnerst
du dich an Big Brothers Sprachmanipulationen, seine Rhetorik in Bezug
auf den »Einsatz bis aufs Letzte«, und die Furcht, die er
schürte, um jedermann die Verteidigung Eurasiens schmackhaft zu
machen? An die Hass-Sitzungen? Den Angriff auf das »böse«Österreich
durch den weichen Unterleib Frankreichs? Eine eindeutige Satyre.«
Sowie Huxley das sagte, begriff ich: Klar, und der Name des Helden ist
»Winston« Smith.
Aldous war zu jener Zeit
fasziniert vom Tibetanischen Totenbuch, welches ich eben erst aus einem
Viktorianischen Englisch ins Amerikanische übertragen hatte. Dieses
Manuskript benutzte Laura Huxley, um ihren Gatten beim Sterben zu leiten.
(Deutsch; »Psychedelische Erfahrungen« O.W. Barth Verlag
1971. Volksverlag. Linden.)
Ausgänge: Fortsetzungen
Huxley sprach mit Enttäuschung
über den schlimmen Ausgang von Eiland, des Glasperlenspiels und
Orwells Klassiker. Die von ihm entworfene idealistische Inselgesellschaft
wird von Erdöl suchenden Industriermächten zerstört.
Hesses Kastalien löst sich auf, weil es die Beziehung zum menschlichen
Alltag verliert; dazu kommt die Zerstörung der Liebe in 1984. Unglückliche
Ausgänge. Schüchtern fragte ich, ob er mich damit warnen oder
ermahnen wolle, doch er lächelte nur, worauf ich ihm sagte, dass
wir eine Fortsetzung für ihn, George und, Hermann schreiben würden,
und er lächelte wieder.
Zwei Tage später starb
Aldous Huxley. Sein Gehen wurde kaum beachtet, da John F. Kennedy am
selben Tag ermordet wurde; es war ein schlimmer Tag für Utopisten
und Futuristen.
Die onthologische Evolution
von Hermann Hesse
Hermann Hesse seinerseits
wurde 1877 in der schwäbischen Kleinstadt Calw als Sohn eines protestantischen
Missionars geboren. Sein familiärer Hintergrund und seine Erziehung
waren, wie bei Huxley, intellektuell klassisch und idealistisch geprägt.
In Basel, der schweizerischen
Grenzstadt, erlernte er den Beruf eines Buchhändlers. Als Buchhändler
und Herausgeber klassischer deutscher Literatur verdiente er sich dann
auch seinen Lebensunterhalt und lernte dabei Jacob Burckhardt, den großen
Schweizer Historiker und Philosophen kennen, welcher ihm später
als Vorbild für die Figur des Vater Jacobus im Glasperlenspiel
diente. 1919 zog Hesse in das Tessiner Dörfchen Montagnola am Luganersee,
wo er his zum Ende seines Lebens blieb.
1923 wurde er Schweizer.
Zweifellos hatte Huxley recht, wenn er das Lehen Hesses als beispielhaft
für Wechsel und Metamorphose beschrieb. Akzeptieren wir die Ansicht
von Theodore Ziolkowski, so folgte Hesses literarische Entwicklung derjenigen
der modernen Literatur vom Ästhetizismus der Jahrhundertwende üher
den Expressionismus zum zeitgenössischen Sinn für die menschliche
Bestimmung. Zur Erinnerung:
Hesse, eine Stimme der
romantischen Realitätsferne?
Hesses erster Roman mit einigem
Erfolg, »Peter Camenzind«, aus dem Jahre 1914, gab die frivole
Stimmung der Iebensfrohen neunziger Jahre wieder, welche, wie die stürmischen
zwanziger Jahre, der letzte Tanz einer Klassengesellschaft waren, die
kurz vor dem Untergang stand.
Hesse, ein desillusionierter
Bohemien?
Nach Ziolkowski wechselte
Hesse vom Ästhetizismus zu einem melancholischen Realismus. »Hesses
Romane werden zu Warnungen eines Außenseiters, welcher uns dazu
drängt, überkommene Werte in Frage zu stellen, gegen das System
zu rebelIieren und die »Realität« im Lichte höherer
Ideale zu betrachten.«
Er unternahm 1911 die obligatorische
Pilgerreise nach Indien und infiszierte sich am Ganges mit dem Virus,
der später den ausgewachsenen Mystizismus eines Allan Ginsburg
verursachen sollte.
Hesse, ein Kriegsdienstverweigerer?
1914 wand sich Europa im
Fieber des Nationalismus und Militarismus. Hesse wurde, wie Dr. William
Spock auf einer anderen Raum-Zeitkoordinate, ein ausgesprochener Pazifist
und Kriegsdienstverweigerer. Zwei Monate nach dem Ausbruch des Krieges
publizierte die Neue Zürcher Zeitung seinen Essay »Oh Freunde,
nicht diese Töne«. Es war ein Aufruf an die Jugend Deutschlands,
in dem sich seine Betroffenheit ob der stattfindenden Stampede auf den
offenen Abgrund zu äußerte. Die Anklage brachte ihm eine
offizielle Zensur und Angriffe anderer Zeitungen ein. Hesse war offensichtlich
gegen den verheerenden Einfluss von Patriotismus, Nationalismus und
Autoritätsgläubigkeit gefeit.
Hesse, ein Urbeatnik?
1922 schrieb Hesse den »Siddharta«,
die Geschichte einer Kerouac-Snyder Existenz, die auf dem Wege nach
Benares gelebt, befreite Feste einer lebensfrohen, Liebe und Sex auskostenden
Männlichkeit feiert.
In einem Interview mit dem
Playboy Magazin fasst der islamische Yoga-Meister Karem Abdul-Jahbar
mit einer bemerkenswerten Klarheit die Ebenen seiner Lebenserfahrung
zusammen. Er hat offensichtlich Hesse studiert und benutzt die Fugen-Technik
des Glasperlenspiels um die verschiedenen Aspekte seiner Biografie:
Basketball, Rassismus, Religion, Drogen, Sex, Jazz und Politik in Einklang
zu bringen. ».. .In meinem letzten Highschool-Jahr«, sagte
Ahdul~ Jahbar, »begann ich alles zu lesen, was mir in die Finger
kam - Hindutexte, die Upanischaden, Zen-Texte, Hermann Hesse....«
Playboy: »Was beeinflusste
Sie am meisten?«
Abdul-Jabhar: ´»Hesses
Siddharta. Ich machte während jener Zeit all das durch, was Siddharta
als Jugendlicher durchmachte. und ich identifizierte mich mit seiner
Auflehnung gegen die traditionellen Auffassungen von Liebe und Leben.
Siddharta wird Ästhet, ein reicher Mann, ein feinfühliger
Mann - er erforscht all diese verschiedenen Welten und kann dabei keine
Erleuchtung finden. Das war für mich die Botschaft des Buches,
und so begann ich mein eigenes Wertesystem für das, was gut und
schlecht ist, zu entwickeln.«
Hesse, ein Urhippy?
Siddharta blieb nicht Hesses
einziger Held, der sein eigenes Wertesystem entwickelte. Der Protagonist
in Hesses nächstem Buch brachte die Selbstverwirklichung zu Vollendung:
Steppenwolf, 1927 erschienen, wird von Ziolkowski als eine »psychedelische
Orgie aus Sex, Drogen und Jazz« beschrieben. Andere Experten.
einer eher historischen Sicht verpflichtet, sehen den (Steppenwolf als
eine abschließende Parodie auf die »erhabenen« Gegensätze
des industriellen Zeitalters. Hesse stellt die Freud'schen Konflikte,
Nietzsches Pein, die Jung'schen Polaritäten und Hegels Denkmaschine
mit viel Humor in Frage.
Harry Haller betritt das
Magische Theater, als Eintritt muss er den Verstand abgeben. Als erstes
beteiligt er sich in diesem Theater an einem Autorennen, was ein ziemlich
unfeiner Bezug auf die geheiligten Symbole des Industriezeitalters ist.
Hinter einer Türe. auf der »Führung durch den Aufbau
der Persönlichkeit« steht und: »Erfolg garantiert«,
lernt Harry Haller ein nachfreud'sches Videospiel zu spielen, in welchem
die Pixel Teile der Persönlichkeit sind. »Wir können
zeigen, dass jedermann, dessen Seele in ihre Teile zerfallen ist, diese
auf jede beliebige Art wieder zusammensetzen kann. So erlangt er die
Möglichkeit für eine unendliche Anzahl von Zügen im Spiel
des Lebens.«
Dieser letzte Satz drückt
präzise aus, was die Grundlage der New-Age-Botschaft von der Selbstverwirklichung
war, und bei all den darin beschriebenen 38 000 Methoden geht es immer
nur um dieses Eine: Du lernst die Elemente deines Selbst in der dir
entsprechenden Weise neu zusammenzusetzen. Danach drückst du die
Eingabetaste, um weiterzugehen.
Die Midlife-Krise des Steppenwolfs,
seine überhitzten Konflikte nach der Art Salingers, seine Woody
Allen'sche Verzweiflung, sein unbefriedigtes Verlangen, wie es bei Norman
Mailer vorkommt, all dies löst sich in einem wirbelnden Kaleidoskop
von schnell aufleuchtenden Neuro-Realitäten auf. »Ich
wusste immer«, keucht Harry Haller, »dass ich alle hundert
Teile des Lebensspiels in meiner Tasche habe.... eines Tages werde ich
sie zu einem besseren Spiel zusammenmischen.«
Das Glasperlenspiel wandelt
Gedanken in Strukturen um
Was tust du, nachdem du die
schweren, soliden, felsbrockenhaften Gedanken deiner mechanischen Realität
in ihre Elemente zerlegt hast? Bist du ein Student der Physik oder Chemie,
so ordnest du die Teile in neuen Kombinationen an. Synthetische Chemie
des Geistes. Solve et coagule. Arrangiere die Elemente, und du wirst
ein Meister des Glasperlenspiels. Ich lasse den Zufallsgenerator mein
Gedankenspiel mischen und gebe die Karten neu aus!
So wie es Hesse schilderte,
lernten die Spieler des Glasperlenspiels Dezimalzahlen, Musiknoten,
Worte, Gedanken oder Bilder in Elemente umzuwandeln, welche in endlosen
Abakus-Kombinationen und rhythmischen Fugen-Sequenzen zusammengefasst
werden konnten. So war man in der Lage, eine Meta-Sprache voller Klarheit,
Reinheit und von höchster Komplexität zu schöpfen. Es
entstand so eine globale Sprache, die sich auf Digitaleinheiten aufbaut.
Das Spiel wird auch beschrieben als »... ein Aneinanderreihen,
Ordnen, Gruppieren und Gegeneinanderstellen von konzentrierten Vorstellungen
aus vielen Gebieten des Denkens und der Künste.«
Mit der Zeit, so schrieb
Hesse, »... entwickelte sich das Spiel zu einer Art universeller
Sprache, mit welcher die Spieler verschiedene Werte ausdrücken
und miteinander verbinden konnten.«
Die Entwicklung des Computers
Am Anfang war das Spiel von
einer Gruppe von Mathematikern entworfen, konstruiert und fortwährend
den neuesten Erkenntnissen angepasst worden. Sie wurde Kastalia genannt.
Spätere Generationen von »Hackern« benutzten das Spiel
aus erzieherischen, intellektuellen und ästhetischen Gründen.
Irgendwann wurde das Spiel zu einer globalen Geisteswissenschaft, zu
einer unentbehrlichen Methode, die Gedanken zu ordnen und sie genau
zu übermitteln.
Hesse war natürlich
nicht der Erste, der eine digitale Gedankenverarbeitung vorschlug. Etwa
600 vor Christus spekulierten der Grieche Pythagoras (mit seiner Sphärenmusik)
und der Chinese Lao Tse (Tao, Yin-Yang) dahingehend, dass die Wirklichkeit
und das Wissen mit einem Spiel aus Binärzahlen ausgedrückt
werden konnten und sollten. 1832 entwickelte ein junger Engländer,
George Boole, eine Algebra der symbolischen Logik. Im folgenden Jahrzehnt
arbeiteten Charles Babbage und die Gräfin Lovelace an einer analytischen
Denkmaschine. Ein Jahrhundert später, gleichzeitig mit Hesses Entwurf
des Glasperlenspiels, beschrieb der brillante englische Logiker Alan
Turing Maschinen, die menschliches Denken simulieren können: AI
- Artificial Intelligence - künstliche Intelligenz.
Hesses einzigartiger Beitrag
war jedoch weniger technischer als sozialer Art. 45 Jahre vor Toffler
(The third wave) und Naisbitt (Megatrends) sah Hesse das Erscheinen
eines Informationszeitalters voraus. Im »Glasperlenspiel«
stellt Hermann Hesse eine Soziologie des Computers vor. Mit der reichen
Sprache des Dichters beschreibt er das Entstehen einer utopischen Subkultur
aus dem Gebrauch digitaler Gedächtnisunterstützung.
Hesse verwendet dabei ein
wichtiges Instrument, die Parodie, um die sich aufdrängende Frage
zu stellen: Was geschieht mit einer Gesellschaft, die sich in Computerbeherrscher
und Computer-Analphabeten teilt, in eine Elite der Elektronik und in
Blaumann tragende Proletarier mit ihren mechanischen Olivettis? Was
sind die Gefahren einer in Informations-Reiche und Informations-Habenichtse
geteilten Gesellschaft?
Hesses Glorifizierung
der Kastalischen Hackerkultur
»Das Glasperlenspiel«
ist die Geschichte von Josef Knecht, dem wir als hervorragendem Gymnasiasten
begegnen, welcher in die Kastalische Bruderschaft aufgenommen und in
die Feinheiten des Gedankenverarbeitungssystems eingeweiht wird.
Die Beschreibung von Kastalien
ist von bezaubernder Ausführlichkeit. Der Leser fühlt sich
von der sublimen Schönheit des Ordens und der mönchischen
Hingabe der Adepten angezogen. Zu Beginn des Buches wird erklärt.
»Dieses Spiel der Spiele... entwickelte sich zu einer Art Universalsprache,
durch welche die Spieler in sinnvollen Zeichen Werte auszudrücken
und zueinander in Beziehung zu setzen befähigt waren. Ein Spiel
konnte zum Beispiel ausgehen von einer gegebenen astronomischen Konfiguration,
oder vom Thema einer Bachfuge oder von einem Satz des Leibniz oder der
Upanischaden, und der Spieler konnte von diesem Thema aus, je nach seiner
Absicht und Begabung die wachgerufene Leitidee entweder weiterführen
und ausbauen oder auch durch Anklänge an verwandte Vorstellungen
in ihrem Ausdruck bereichern. War der Anfänger etwa fähig,
durch die Spielzeichen Parallelen zwischen einer klassischen Musik und
der Formel eines Naturgesetzes herzustellen, so führte beim Könner
und Meister das Spiel vom Anfangsthema frei bis in unbegrenzte Kombinationen.«
Mit diesem letzten Satz beschreibt
Hesse die Theorie des Programmierens. Die Meister unter den Programmierern
können jegliche Ideen, jeden Gedanken in den binären Zahlencode
übersetzen, der es erlaubt, diese Informationen mit höchster
Geschwindigkeit in jeder Art und Weise zu kombinieren. Darin entdecken
wir wieder den seit jeher bestehenden Traum der Philosophen, Visionäre
und Linguisten von der »Universitas«, von einer Synthese
allen Wissens, vom absoluten Gedächtnis, von einer alles umfassenden
mathematischen Genauigkeit.
Als Dichter wusste Hesse,
dass eine Sprache, welche auf mathematische Elemente aufbaut, nicht
unbedingt kalt, unpersönlich oder mechanisch sein muss. Das Glasperlenspiel
lesend erleben wir eine Begeisterung, wie sie etwa heutige Video-Künstler
beim Entwerfen ihrer komplizierten Programme trägt. Diese wissen,
dass das Malen, Komponieren, Schreiben, Entwerfen, kurz, das Arbeiten
mit Strukturen aus elektronischen »Perlen« einem mehr Freiheit
gibt als ein übliches Druckverfahren oder das Malen auf Leinwand,
das Spielen auf mechanischen Instrumenten.
Hesses goldenes Zeitalter
des Bewusstseins
Nach Hesse erlebte die Chemie
ihr Goldenes Zeitalter als die Wissenschaftler lernten, Substanzen in
ihre Moleküle aufzutrennen und wieder zu neuen Stoffen zusammenzusetzen.
Nur durch exaktes Vorgehen beim Spiel mit den reagierenden Elementen
waren die Chemiker in der Lage, die »Murmeln« zu konstruieren,
welche unsere Welt so stark verändern sollten.
Im Goldenen Zeitalter der
Physik, sowohl der theoretischen als auch der experimentellen. lernten
die Physiker Atome zu spalten und die erhaltenen Teile in unendlich
vielen neuen elementaren Strukturen anzuordnen.
Mit dem Glasperlenspiel zeichnete
Hesse ein Goldenes Zeitalter des Bewusstseins, in dem die Strukturprogrammierer
von Kastalien, ähnlich den Chemikern und Physikern, Gedanken-Moleküle
in Elemente (Perlen) zerlegten und diese zu neuen Mustern verwoben,
die »singen wie zusammen schwingende Kristalle«.
Technologie erfindet Ideologie
Wie vieles andere nahm Hesse
auch Mc Luhans Erstes Gesetz der Kommunikation voraus, welches lautet:
Das Medium ist die Botschaft! Mit anderen Worten, die Werkzeuge. die
wir benutzen, um unsere Gedanken zu verpacken, speichern oder zu vermitteln,
definieren die Grenzen unseres Denkens. Die Kraft der Technologie verstehend
erzählt er uns, dass die neue Bewusstseins-Kultur aus einer fast
primitiven Denkhilfe entstand, einem kleinen Abakus, einem Holzrahmen,
auf den ein paar Dutzend Drähte aufgespannt waren, auf welche Glasperlen
verschiedener Größe, Form und Farbe aufgezogen werden konnten.
Aber lassen wir uns von der spielzeughaften Einfachheit dieses Werkzeugs
nicht täuschen, es ist in Wirklichkeit sehr brauchbar. Hat man
einmal die Gedankenelemente mit Hilfe mathematischer Gleichungen festgelegt.
so hat man die Möglichkeiten der Intelligenz eines Kulturkreises
erweitert.
Die Evolution des Spiels
Der Glasperlen-Abakus wurde
zuerst von Musikern verwendet, da seine Drähte den Notenlinien
entsprachen und die Glasperlen den Notenwerten.
»Kaum
zwei, drei Jahrzehnte später scheint das Spiel unter den Musikstudenten
an Beliebtheit eingebüsst zu haben, dafür aber von den Mathematikern
übernommen worden zu sein, und lange Zeit blieb das ein kennzeichnender
Zug in der Geschichte des Spiels, dass es stets von derjenigen Wissenschaft
bevorzugt und benutzt und weitergebildet wurde, welche jeweils eine
besondere Blüte oder Renaissance erlebte.
...Das Spiel wurde von beinahe
allen Wissenschaften zeitweise übernommen und nachgeahmt... Die
analytische Betrachtung der Musikwerte hatte dazu geführt, dass
man musikalische Abläufe in physikalisch-mathematische Formeln
einfing. Wenig später begann die Philologie mit dieser Methode
zu arbeiten und sprachliche Gebilde nach der Weise auszumessen, wie
die Physik Naturvorgänge maß. Es schloss die Untersuchung
der bildenden Künste sich an... Jede Wissenschaft, die sich des
Spiels bemächtigte, schuf sich zu diesem Zweck eine Sprache von
Formeln, Abbreviaturen und Kombinationsmöglichkeiten ...«
»...
Es würde zu weit führen, wenn wir des näheren schildern
wollten, in welcher Weise der Geist sich nach seiner Reinigung auch
im Staate durchsetzte... und so wurde die Pflege des Geistes in Staat
und Volk von den Geistigen mehr und mehr monopolisiert, namentlich das
ganze Schulwesen...«
Die Ankündigung der
künstlichen Intelligenz?
»Bei
den Mathematikern wurde das Spiel zu einer hohen Beweglichkeit und Sublimierungsfähigkeit
gebracht und gewann schon etwas wie ein »Bewusstsein seiner seIbst
und seiner Möglichkeiten«.«
Mit diesem letzten Satz nimmt
Hesse den Alptraum 2001 über eine neurotische künstliche Intelligenz,
geschrieben von Arthur C. Clarke und verfilmt von Stanley Kubrick, voraus:
»Öffne die Schotten, HaI.«»Tut mir leid, Hermann,
diese Mission ist zu wichtig, um durch menschlichen Irrtum zu scheitern.«
Ein Kult ausgedropter
Hacker?
Hesse schilderte, wie in
den ersten Generationen von Computer-Adepten eine »Hacker-Kultur«
entstand, eine Elite von »Spitzenprogrammierern«, die vollständig
in den Konstruktionen ihres Denkens lebten, ohne sich um die Außenwelt
zu kümmern.
Die Kultur der künstlichen
Intelligenz
Weiter beschrieb er das Auftauchen
eines Phänomens, welches gerade heute der Trend in der Informatik
ist: Den Kult um die künstliche Intelligenz. 1984 wurden in Japan,
den USA und Europa Milliarden in so genannte Projekte der fünften
Generation investiert, die der Entwicklung von Programmen für künstliche
Intelligenz dienen. Alle diese Nationen leiden schon heute unter einem
ernstzunehmenden Intelligenz-Defizit. So ist das Ziel, welches mit diesen
Projekten angesteuert wird, die Entwicklung von Maschinen, die denken
und Rückschlüsse ziehen können und deren Entscheide zuverlässiger
sind als die des Menschen.
Die immensen Investitionen
werden von großen Verwaltungen getätigt: Regierungen, Industrien,
dem Militär, Banken, Versicherungen, Ölfirmen usw. Künstliche
Intelligenz sollte folgende Aufgaben lösen können:
a) Entscheidungen aufgrund
unzähliger Daten fällen. Dabei übernimmt der Computer
mit Lichtgeschwindigkeit die Arbeit von Tausenden von Angestellten und
Technikern.
b) Mit Hilfe von Stimmerkennungsprogrammen
auf die gesprochene Sprache reagieren.
c) Als Roboter menschliche
Arbeit verrichten.
Sie ist unter den Investoren
in der Computerindustrie das Zauberwort; es scheint nur noch wenig zu
fehlen, und die Roboter werden eine immer wichtigere Rolle in den westlichen
Zivilisationen spielen.
Genauso wie das Glasperlenspiel
zum Ziel der Kritik Außenstehender wurde, so entsteht heute ein
Murren des Widerstands unter unzufriedenen Liberalen und Humanisten
gegen die künstliche Intelligenz. Einige unter ihnen weisen darauf
hin, dass der Ausdruck »Künstliche Intelligenz« schon
ein Widerspruch in sich sei, ähnlich dem Ausdruck »military
intelligence«. Andere Kritiker meinen, dass künstliche Intelligenz
wenig mit der individuellen menschlichen Intelligenz zu tun habe. Diese
Multimillion-Dollar-Maschinen können nicht zur Lösung persönlicher
Probleme gebraucht werden. Sie verhelfen Hans nicht zu einem Rendez-vous
mit seiner Angebeteten am Freitagabend, sie bringen Sylvia das fehlende
Selbstvertrauen nicht bei. Die Systeme künstlicher Intelligenz
sind dafür gebaut, wie Superexpertenkonferenzen zu denken, unfehlbar
den Weg des geringsten wirtschaftlichen Verlustes suchend. Unweigerlich
kommt einem dabei in den Sinn, dass es Ford damals billiger zu stehen
kam, ein paar Schadenersatzprozesse zu verlieren, als den Ford Pinto
so zu konstruieren, dass sein Benzintank nicht mehr explodieren konnte.
Weiter steigen in einem die
Meldungen hoch, in denen hohe Militärs von einem »tolerierbaren
Verlust an Menschenleben im Falle eines Atomwaffenkrieges« sprechen.
Genau diesen Wahnsinn empfinden viele, wenn sie sagen, dass diese Spielzeuge
des Top-Managements eher künstlich als intelligent seien.
Es kann sich herausstellen,
dass unsere HAL-Paranoia übertrieben ist. Computer werden keine
wirklichen Menschen ersetzen, sie ersetzen höchstens mittelmäßige
Bürokraten, ersetzen uns nur so weit, als wir künstliche (statt
natürliche) Intelligenz in unserem Leben und in unserer Arbeit
einsetzen. Sie werden nur soweit für uns denken, wie wir es schon
heute unseren Bürokraten erlauben für uns zu denken. Falls
wir denken wie Funktionäre, wie Manager oder Angestellte, die ausführen,
ohne Fragen zu stellen oder wie ein Schachspieler, der mechanisch spielt,
dann könnte es uns allerdings geschehen, dass wir bald nichts mehr
zu denken haben.
Natürliche Intelligenz
Die Humanisten unserer Zeit
behaupten, es gäbe nur eine Form der Intelligenz, die natürliche
Intelligenz: Die Kraft des Gehirns, welche im Schädel jedes einzelnen
ihren Sitz hat. Dieses »Eingemachte« ist genetisch verdrahtet
und mit Erfahrungen programmiert, welche es erlauben, mit den Angelegenheiten
einer (!) Person, nämlich des Besitzers, umzugehen und Erfahrungen
mit andern auszutauschen.
Alle Gedanken verarbeitenden
Werkzeuge, vom Bleistift über Schreibmaschinen, Bücher bis
zum Computer, können als Erweiterungen der natürlichen Intelligenz
angesehen und auch so benutzt werden. Sie sind Hilfen für das Verpacken,
Speichern und Vermitteln von Ideen; sind Spiegel, die widerspiegeln,
was der Benutzer dachte.
Douglas Hofstädter sieht
es in seinem Buch: »Gödel, Escher, Bach« so: »Das
Selbst wird in dem Augenblick geboren, wo es die Kraft bekommt, sich
selbst zu reflektieren.« Und diese Kraft ist, in Hesses Sinn,
bestimmt durch das Denkwerkzeug, welches eine Kultur anwendet.
Einzelne Menschen können
von Denkmaschinen (ob Computer oder Glasperlenspiel) nur soweit kontrolliert
und verwaltet werden, als sie sich dazu hergeben, ihr eigenes Denken
einzuschränken.
Der das sagt, ist Hermann
Hesse.
Der Magister Ludi beginnt
die Autorität in Frage zu stellen
Im Laufe seines Lebens steigt
der Held des »Glasperlenspiels«, Josef Knecht, zur höchsten
Stellung des Kastalischen Ordens auf. Er wird Magister Ludi, Leiter
des Glasperlenspiels. Das Spiel ist zu dieser Zeit bereits eine globale
künstliche Intelligenz geworden, mit der die Erziehung, das Militär,
die Wissenschaften und überhaupt alle Lebensbereiche geleitet werden.
Die großen kulturellen Zeremonien bestehen aus öffentlichen
Denkspielen, die von der Elite mit Faszination verfolgt werden.
Auf dem Höhepunkt seiner
Laufbahn wird der Magister Ludi von Zweifeln geplagt. Er macht sich
Sorgen über die zweigeteilte Gesellschaft, in welcher die kastalische
Programmierer-Elite ihre Gedankenspiele weit entfernt von der Realität
des Alltags durchspielt. Wir erinnern uns, die Kastalier haben ihr Leben
voll und ganz dem Geistesleben gewidmet. Sie weigern sich, Macht auszuüben,
Geld zu besitzen, eine Familie zu gründen oder dem Individualismus
zu huldigen. Ein Kastalier ist ein perfekt organisierter Mann, ein Mönch
der neuen Religion von der künstlichen Intelligenz. Knecht beginnt
nun am absoluten Gehorsam, am Verlust des individuellen Entscheidens
zu zweifeln, und am Ende findet er die einzige Antwort eines Individuums,
welches nicht akzeptiert, dass eine künstliche Intelligenz von
ihm Verzicht auf Selbstverwirklichung verlangen kann.
»Handeln,
wie es Herz und Verstand verlangen«
Der Roman endet damit, dass
Josef Knecht seine Stellung als Hohepriester der Künstlichen Intelligenz
aufgibt und sich einem neuen Leben als Individuum in der »realen«
Welt zuwendet. Er erklärt sein Handeln, sein »Erwachen«
in einem Brief an den Orden. Nach 30 Jahren in der »obersten Liga
der Gedankenverarbeitung« ist Knecht zum Schluss gekommen, dass
sich Organisationen dadurch am Leben erhalten, dass sie Gehorsam mit
Privilegien belohnen!
Langsam hat sich der Schleier
gehoben und Knecht sieht, dass die kastalische Gemeinschaft von den
charakteristischen Krankheiten der Eliten befallen ist: Eitelkeit, Überbeblichkeit,
Selbstherrlichkeit, Ausbeutung... Und er erkennt, dass, wie um die Ironie
auf die Spitze zu treiben, diese Gedanken verarbeitende Bürokratie
ihre eigene Stellung in der Struktur des Staates, ihren Platz in Welt
und Geschichte gar nicht mehr erkennt.
Wir sollten uns dabei daran
erinnern, dass Hesse sein Buch zu der Zeit schrieb, als Hitler, Mussolini
und Stalin Europa mit ihren Diktaturen terrorisierten. Die ehemals populäre
athenisch-demokratische Maxime: Stehe zu dir,' stelle die Autorität
in Frage! war hoffnungslos aus der Mode gekommen, selbst in zivilisierten
Ländern, wie die Schweiz eines ist.
Rücksichtnahme auf die
Schwere der Zeit war, wie ich annehme, der Grund, warum Hesse, der Meister
der Parodie, seine ängstlichen Leser so langsam und förmlich
auf die abschließende Konfrontation zwischen Alexander, dem Präsidenten
des Ordens und dem dissidenten Spielmeister zuführt.
Vorsichtig und voller Zuneigung
erklärt Knecht dem Präsidenten, dass er keinen »Beschluss
von Oben« akzeptieren werde. Alexander staunt ungläubig,
so wie gegenüber einem solchen Aussteiger jeder Angehörige
der Gedankenverarbeitenden Elite Europas staunen würde, sei er
nun Professor, Intellektueller, Linguist, Literaturkritiker oder Herausgeber
von einem Magazin, wie diesem, in dem Sie gerade lesen. »... nicht
geneigt gehorsam... einen unabänderlichen Beschluss von Oben zu
akzeptieren - hab ich dich richtig verstanden, Magister?«!
Später wagt der sichtlich
verwirrte Alexander eine Frage zu stellen, die noch keiner in der Organisation
gestellt hat: »Wenn du nicht handelst, wie es dir die oberste
Verwaltung befiehlt, wie handelst du dann?« »Wie es mein
Herz und Verstand befehlen«, antwortet ihm Josef Knecht.
Aus dem Amerikanischen
von Heinz Martin. Puzzles aus José Argüelles »Earth
Ascending«. Erschienen 1982 im SPHINX-Magazin.
*Timothy Leary, amerikanischer
Psychologe und Autor, 1920 bis 1996
Nachfolgender Beitrag aus
Wikipedia:
Leary wurde in den 1960er
und 70er Jahren dafür berühmt, dass er den freien und allgemeinen
Zugang zu bewusstseinsverändernden Drogen (z.B. Meskalin, Psilocybin
und LSD) propagierte. In diesem Zusammenhang erfand er den PR-Slogan
Turn on, Tune in, Drop out (im Übertragenen Sinne: "Mach
dich an [z.B. durch Drogen], stell dich um [richte dein Leben neu
aus], spring ab [von den Fesseln der Gesellschaft]").
Damit hatte er einen anderen
Ansatz als Aldous Huxley, der schon 1953 mit Meskalin experimentierte
und seine Erfahrungen in dem einflussreichen Text Die Pforten der
Wahrnehmung veröffentlichte. Huxley befürwortete den experimentellen
Einsatz von Meskalin ausschließlich für einen kleinen Kreis
Intellektueller, Künstler und religiöser Menschen, nicht
für die Allgemeinheit.
Eine weitere von Leary
abweichende therapeutische Anwendung von LSD, in geschütztem
Umfeld und mit medizinischer Begleitung, beschreibt Stanislav Grof
(Psycholyse).
Timothy Leary sah psychedelische
Drogen als Mittel zur Neu-Programmierung des Gehirns, d.h. (in seiner
Terminologie) der Aufhebung vorhandener Prägungen und der gleichzeitigen
Öffnung für neue Prägungen. Leary betonte den Einfluss
von SET (innere Einstellung des Konsumenten zum Zeitpunkt des Rausches),
SETTING (Umgebung und Umfeld bei der Sitzung) und DOSIS, auf den Wirkungsverlauf
halluzinogener Drogen. Nach Leary kann durch günstiges Set und
Setting das Entstehen von Psychosen durch Psychedelika verhindert
werden. Leary hat also niemals einen unkontrollierten Drogenkonsum
gutgeheißen (auch wenn er so missverstanden wurde), welcher
schnell fatale Folgen zeigen kann (Psychosen, Selbstmorde). Vielmehr
verlangte er einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen und befürwortete
Experimente unter professioneller Führung. Ferner gab er angehenden
Psychonauten folgenden Rat:
"Acid is not for every
brain - only the healthy, happy, wholesome, handsome, hopeful, humorous,
high-velocity should seek these experiences. This elitism is totally
self-determined. Unless you are self-confident, self-directed, self-selected,
please abstain."
(Deutsch: "LSD ist nicht für jedes Gehirn etwas - nur die
Gesunden, Glücklichen, Schönen, Hoffnungsvollen, Humorvollen
und Agilen sollten nach einer solchen Erfahrung suchen. Dieser Elitismus
ist gänzlich selbstbestimmt. Wenn du nicht selbst-bewusst, selbst-gesteuert,
selbst-bestimmt bist, lass es bitte.")
Leary formulierte in diesem
Zusammenhang die Zwei Gebote für das Molekulare Zeitalter:
1 Thou shalt not alter the consciousness of thy fellow men. (Deutsch:
Du sollst das Bewusstsein deines Nächsten nicht verändern.)
2 Thou shalt not prevent thy fellow man from altering his or her own
consciousness. (Deutsch: Du sollst deinen Nächsten nicht daran
hindern, sein oder ihr Bewusstsein zu verändern.)
Diese Sätze sind aber
durchaus nicht nur in Bezug auf den Gebrauch von Drogen zu verstehen,
sie beziehen sich auch auf die Manipulation durch Massenmedien, Politiker
und Gruppenzwang.