Moses 2.0: Wie wir gemeinsam den Wandel vom Lebensstandard zur Lebensqualität schaffen

Bekenntnisse eines Generalisten für reifende Lebensqualität

23. Die Sphäre des Respekts

Als ich vor etlichen Jahren die zu meinem Netz Gehörigen mal fragte, was sie als größten Lebensqualitäts-Killer beim Konsum empfänden, war die Antwort eindeutig: mangelnder Respekt von Seiten des Anbieters. Dabei tauchte das Wort Respekt gar nicht als solches auf. Vielmehr standen da Klagen über gestohlene Zeit, über das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, darüber, dass nicht meine Werte zählen, sondern nur mein Geld, über Beleidigungen von Auge und/oder Verstand, über übergriffige Verkaufsmaßnahmen und benutzerfeindliche Angebote.

Respekt hat offenbar viele Facetten, doch im Zentrum steht immer eine zentrale Erwartung: Respektiert zu werden heißt, dass sich unser Gegenüber ein Stück weit in uns hinein versetzt, dabei unsere Bedürfnisse und Wünsche erahnt und entsprechend handelt, beziehungsweise uns behandelt. Das ist keine utopische Vorstellung. Wie neue Forschungsergebnisse zeigen, haben wir Menschen (und etliche andere Tiere) im Gehirn so genannte Spiegelzellen. Damit können wir uns so sehr in andere Artgenossen hinein versetzen, dass wir deren Empfindungen und Gefühle übernehmen oder eben spiegeln, auch wenn wir selbst gar nicht direkt betroffen sind. Somit können wir davon ausgehen, dass die biologischen Voraussetzungen für Respekt gegeben sind.

Nutzen müssen wir diese Möglichkeit allerdings schon noch selbst, und daran scheint es gelegentlich zu hapern, wie die eingangs zitierten Klagen über mangelnden Respekt deutlich machen. Dabei liefert uns die Entdeckung der Spiegelzellen doch den Schlüssel: Respekt funktioniert spiegelbildlich. Wenn also ein Anbieter ernsthaft mehr Respekt für seine Kunden entwickeln wollte, müsste er sich nur für einen Moment in deren Haut versetzen und sich fragen, was er gerne hätte, wenn er Kunde wäre. Das wäre theoretisch nicht so schwer, weil die meisten Anbieter zwischenrein auch Kunden sind. Dass es so selten geschieht, liegt also offenbar eher am mangelnden Willen zum Respekt.

Das spiegelbildliche Prinzip von Respekt äußert sich sehr schön in der bekannten Maxime zum Umgang miteinander: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu! Gut, der große Philosoph Kant hat dieses Prinzip in seinem kategorischen Imperativ noch etwas schwulstiger formuliert, aber es läuft immer auf dasselbe hinaus: Respekt setzt voraus, sich in sein Gegenüber zu versetzen und für eine kurze Simulation dessen Perspektive zu übernehmen.

Dann nämlich fällt es uns leicht, dieses Gegenüber so zu behandeln, wie wir gerne selbst behandelt würden. Zu Unrecht belächelte Tugend wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Treue oder Loyalität werden zur Selbstverständlichkeit. In einem Klima gegenseitigen Respekts gedeiht unsere Lebensqualität nun mal am besten.

Zu diesem Klima gehört allerdings noch ein bisschen mehr als der Minimalstandard der erwähnten selbstverständlichen zivilisatorischen Tugenden. Respekt beinhaltet immer auch die Anerkennung des Gegenübers, was sich zu Achtung und Hochachtung steigern lässt. Basis dafür ist wiederum ein grundsätzliches Interesse am Anderen, Offenheit und Toleranz ihm gegenüber, und ein gesundes, das heißt echtes Selbstbewusstsein, das überhaupt erst einen Dialog auf gleicher Augenhöhe ermöglicht. Die Sphären von Echtheit, Offenheit und Respekt haben also viele offene Grenzübergänge.

Darüber hinaus weist die Sphäre des Respekts eine weitere Öffnung und Erweiterung auf. Nachdem die bisher behandelten Lebensqualitäts-Sphären doch immer das eigene Ich im Zentrum hatten, steht in dieser Sphäre jetzt eindeutig der Aspekt der Beziehung im Mittelpunkt. Ausgangspunkt sind dabei natürlich direkte zwischenmenschliche Beziehungen. Doch wie die eingangs zitierte Frage nach Lebensqualitäts-Killern beim Konsum zeigt, lässt sich das Prinzip des Respekts auch auf anonymere Beziehungen übertragen, etwa auf jene zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden.

Respekt heißt auch in solchen Beziehungen, dass beide Seiten sich auf gleicher Augenhöhe gegenüber stehen und Lösungen entwickeln, die beiden nützen. Einander auszunutzen oder übers Ohr zu hauen, verträgt sich damit natürlich nicht. Sein Gegenüber zu respektieren – im Sinne von anerkennen, achten und ernst nehmen – dagegen sehr wohl.

Und wenn Respekt schon bei direkten zwischenmenschlichen und bei anonymeren Beziehungen als enormer Lebensqualitäts-Förderer funktioniert, könnten wir das Prinzip doch eigentlich gleich noch ausweiten und so etwas wie Respekt gegenüber dem größeren Ganzen entwickeln. Zum Beispiel gegenüber der Natur. Oder gegenüber anderen Kulturen. Auch da ist ein respektvollerer Umgang als bisher dringend gefragt. Und bildet zudem die Voraussetzung für einen nachhaltigeren, von Verantwortung geprägten Umgang mit unserer Umwelt und der Zukunft. (siehe nächstes Kapitel, Die Sphäre der Nachhaltigkeit)

Wenn Respekt ein so wertvoller Wert ist, liegt die Frage nahe, was wir tun können, um ihn zu fördern. Den Wert hoch zu halten, gegenüber anderen ebenso wie gegenüber sich selbst, ist das eine. Nach dem Motto zu handeln „schenke ein Lächeln, und du bekommst eines“, ist ein zweites, denn das funktioniert natürlich auch mit Respekt.

Wenn wir schon beim Austauschen von Wörtern sind, finden wir in der berühmten biblischen Devise „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ einen weiteren Tipp. Dieser Hinweis auf die enge Verzahnung von Selbst- und Nächstenliebe hat nämlich Gültigkeit weit über seine christliche Fundierung hinaus. Nun ist Liebe allerdings ein hoher Anspruch. Wir können nicht alle unsere Mitmenschen lieben, und auch uns selbst lieben wir nicht in jedem Moment gleich stark, ja, manche Aspekte von uns kommen uns reichlich fremd und wenig liebenswert vor. Ersetzen wir Liebe jedoch durch Respekt, lautet das Motto jetzt: „Respektiere deinen Nächsten wie dich selbst!“ Das klingt doch schon wesentlich realistischer...

Auch die weniger geliebten Seiten von uns selbst und von unseren Mitmenschen können wir wenigstens respektierten. Wir können lernen, sie zu akzeptieren, ohne sie ständig bewerten zu müssen. Und wir können, wenn wir sie dennoch ändern möchten, den feinen Unterschied zwischen überreden und überzeugen erkennen und anwenden.

Echten Respekt für sich selber zu entwickeln, ist die beste Schule für den Respekt für andere. So wird unversehens aus einem Wert, der wie kein anderer für die Außenwelt geschaffen schien, doch auch wieder einer für die Innenwelt. Was die Bedeutung der Sphäre des Respekts für unsere Lebensqualität nicht schmälert, im Gegenteil...

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Das Zauberwort

Ich habe den Eindruck, dass mit zunehmendem Alter meine Sensibilität für fehlenden Respekt wächst. Ob im beruflichen oder privaten Bereich, wenn ich mich respektlos behandelt fühle, werde ich sauer. Damit mache ich mir das Leben nicht unbedingt leichter, denn mangelhafter Respekt ist leider ein weit verbreitetes Phänomen. Und doch kann ich mir meine Lebensqualität ohne einen gewissen Anspruch auf Respekt immer weniger vorstellen.

Respekt ist natürlich keine Einbahnstraße. Wer immer nur von Anderen Respekt einfordert oder gar einklagt, ohne selber etwas davon einzubringen, macht sich lächerlich. Doch auch das Umgekehrte gilt: In unseren Beziehungen haben wir sehr wohl das Recht, einen Mindeststandard an Respekt zu erwarten – und die Beziehung notfalls aufzukünden, wenn uns dieser nicht entgegen gebracht wird. Ohne gegenseitigen Respekt läuft nämlich nichts.

Dass ich meinerseits den Anderen nicht immer den Respekt entgegen bringe, den sie eigentlich von mir erwarten könnten, steht zu meinem Bedauern außer Frage. Ich kann nur hoffen, dass mein Sensibilisierungsprozess auch in dieser Richtung weiter geht. Und muss akzeptieren, dass es beim Respekt für die Anderen auch Grenzen gibt, nur schon deswegen, weil sich deren konkreten Vorstellungen von Respekt nicht unbedingt mit meinen decken müssen, ja dies wohl oft nicht tun. Was, wiederum in Sinne des Gegenverkehrs, dazu führt, dass respektvolles Verhalten selbst bei besten Absichten in der Ausführung immer unvollkommen bleiben muss.

Diesen Einschränkungen zum Trotz bleibt für mich Respekt nicht nur das beste Wort, sondern auch der beste Wert, wenn es darum geht, knapp und konzentriert zu formulieren, auf welche Werte-Grundlage wir künftig den Umgang miteinander und mit unserer Umwelt stellen wollen, um eine möglichst gute Lebensqualität für möglichst viele zu ermöglichen. So einfach der Begriff ist, so viele Türen öffnet er auch.

Wenn man kleinen Kindern den Gebrauch des Wörtchens „bitte“ beibringen will, nachdem sie mal wieder ein Anliegen ohne dieses vorgetragen haben, fragt man sie: »Wie heißt das kleine Zauberwort, das die Tür zur Erfüllung Deines Wunsches öffnen könnte?« Wir täten gut daran, uns auch im erwachsenen Alter an solche Zauberworte zu halten und sie zur Verbesserung des sozialen Klimas zu nutzen. Respekt ist ganz bestimmt ein solches Zauberwort.