Jemandem
die Evolutionstheorie zu erklären, der noch nie etwas von ihr gehört hat, ist
ganz einfach, denn man muss nicht erst Halbwissen und Missverständnisse
beiseite schieben. So dürfte es denn auch niemanden erstaunen, dass Moses im Gespräch
mit dem Philosophen deren Grundzüge schnell begriff. Wir wollen sie, der
Auffrischung halber, hier gerne wiederholen.
Ausgangspunkt
ist wie immer, wenn es um einen Erkenntnisdurchbruch geht, das Staunen über
etwas nicht Selbstverständliches und eine daraus abgeleitete Frage. Das Staunen
bei Darwin betraf die Vielfalt der Lebensformen, die auf unserem Planeten zu
finden sind, nüchterner formuliert die schiere Anzahl von biologischen Arten,
deren Zahl in die Millionen geht. Wie sind all diese Arten entstanden? Diese
Frage lieferte den Titel für Darwins Hauptwerk: „Die Entstehung der Arten“.
Vor
ihm dominierte, selbst in den damaligen Wissenschaften, die religiöse Antwort:
Gott, der Schöpfer, hat alle Arten innerhalb weniger Tage geschaffen, und seitdem
sind sie unveränderlich geblieben. Dass das so nicht stimmen konnte, ahnte man
schon vor Darwin, doch er setzte das vorhandene und das eigene, durch seriöse
empirische Forschung gewonnene Wissen zu einer stimmigen neuen Grundidee
zusammen: Die Arten haben sich über lange Zeiträume hinweg entwickelt. Im
Prozess der Evolution – was ja nichts anderes heißt als Entwicklung.
Ein
statisches Bild vom Leben wurde also abgelöst von einem dynamischen. Das
erscheint uns heute selbstverständlich, ist es aber keineswegs. Und vor allem
haben wir dieses dynamische Bild allen Lebens noch keineswegs vollständig auf
unser eigenes Selbstbild übertragen. Viel zu oft noch klammern wir uns ans
statische Sein, wollen das, was ist, festhalten, oder das was war, zurück,
statt uns auf das Werden zu konzentrieren.
Wie
dem auch sei, Darwin jedenfalls brachte die Idee in die Welt, dass sich alles Leben aus einer Urform
entwickelt habe, in einem Evolutions-Prozess, der bis heute weitergeht –
was fast unweigerlich zur Schlussfolgerung führt, dass die Evolution noch
längst nicht zu Ende ist. Die Vorstellung, der heutige Mensch sei die Krone der
Schöpfung, das an Perfektion nicht mehr zu überbietende Musterexemplar, gerät
damit ziemlich ins Schlingern. Was, unter uns gesagt, keine schlechte Nachricht
ist: Wenn wir davon ausgehen, wir seien bestenfalls frühe Prototypen, und das
Beste käme erst, können wir den heutigen Zustand der Menschheit, der ja nicht
immer zur Freude Anlass gibt, vielleicht etwas besser ertragen.
Apropos
ertragen: Für Darwins Zeitgenossen, die bis heute zahlreiche Nachfolger im
Geiste haben, erschien der Gedanke, der Mensch stamme vom Affen ab, reichlich
degoutant. War ja auch ein ziemlicher Schock: Nicht nach Gottes Ebenbild sollte
der Mensch nun plötzlich geschaffen sein, sondern von selbst aus tierischen
Vorfahren entstanden. Da konnte man ja gleich behaupten, auch der Mensch sei
ein Tier!
Ist
er doch. Unsere neunundneunzigprozentige genetische Übereinstimmung mit unserem
engsten Verwandten im Tierreich, dem Schimpansen, ist längst belegt. Und für
immer mehr Eigenschaften, die lange als spezifisch menschlich betrachtet
wurden, finden sich Parallelen im Tierreich. Wir sind ein Zweig im Stammbaum
des Lebens, eine biologische Art wie jede andere, zufällig ausgestattet mit
einigen Fähigkeiten, die uns bisher eine ziemlich beeindruckende Rolle haben
spielen lassen. Natürlich ist es Quatsch, von der dominierenden Art auf diesem
Planeten zu sprechen, diese Rolle könnten die Ratten oder die Kakerlaken genau
so gut beanspruchen, aber rasant ausgebreitet haben wir uns schon, und eine
wichtige, wenngleich nicht immer heilvolle Rolle bei der Beeinflussung der
ganzen Ökosphäre spielen wir auch.
Die
Evolutionstheorie kann erklären, warum es bei uns Menschen zum Auftreten jener
Eigenschaften gekommen ist, die uns so nützlich sind: durch Mutation und
Selektion. Mutation heißt einfach Veränderung, und Veränderungen treten bei
jeder Art ständig auf, wie und aus welchen Gründen auch immer. Wir können
Mutationen einfach als eine Art Versuchsballon der Evolution betrachten. Und
darüber, welche Versuchsballone aufsteigen und welche abstürzen, entscheidet
die Selektion.
Seit
rund zehntausend Jahren nutzt der Mensch Haustiere und Nutzpflanzen, und er
muss dabei ziemlich schnell das Prinzip der Zuchtwahl erkannt haben: Wenn ein
Exemplar einer Art über eine erwünschte Eigenschaft verfügt, die andere
Exemplare nicht haben, setzt man es gezielt zur Erzeugung von Nachkommen ein,
ob als Mutter oder als Vater, immer in der Hoffnung, die Nachkommen würden
diese erwünschte Eigenschaft ebenfalls haben. Und das funktionierte, lange
bevor man wusste, wie es konkret über die Mischung von Genen funktioniert.
Darwin
nun nannte das Selektionsprinzip der Evolution „natürliche Zuchtwahl“.
Funktioniert genau gleich, nur legt nicht der Mensch fest, was eine erwünschte
Eigenschaft sei, die bevorzugt weiter vererbt werden soll, sondern dies tun die
Umstände und die Umwelt. Wenn die neue Eigenschaft einen Vorteil beim Überleben
des Individuums bringt, erhöhen sich dessen Chancen, Nachkommen in die Welt zu
setzen, die dann diese Eigenschaft auch haben. Die sich dann, im Laufe von
Generationen, allmählich auf breiter Front durchsetzt.
So
weit, dürfen wir annehmen, hätte es Moses rasch begriffen, was uns Gelegenheit
böte, ihn auch gleich gegen einige Missverständnisse rund um die
Evolutionstheorie zu immunisieren. Das erste betrifft die Bedeutung von Kampf.
Darwin selbst hat erst später die Formulierung vom Kampf ums Überleben in sein
Modell aufgenommen. Nun wissen wir selbst in unseren privilegierten Zeiten des
Überflusses, dass Überleben nicht immer ein reines Honigschlecken ist, und mit
dem Bild vom Kampf ums Überleben hätten sich unsere Vorfahren sicher
einverstanden erklärt, ganz abgesehen von all den anderen Arten in den
Dschungeln dieser Welt. Falsch hingegen ist es, daraus abzuleiten, es ginge bei
der Evolution primär um einen Kampf aller gegen alle. Das ist natürlich
Blödsinn, man kann den Kampf ums Überleben auch mit Kooperation gewinnen, und
auch das egoistischste Gen tut sich mit anderen zusammen, wenn das beiden
Seiten einen Vorteil bringt.
Ebenso
falsch ist die Vorstellung, im evolutionären Wettbewerb gewänne immer der
Stärkste. „The Survival of the Fittest“ heißt eben nicht, dass der Stärkste
oder Brutalste gewinnen muss, sondern „to fit“ heißt passen, es überlebt also
der oder die am besten an die Anforderungen der Umwelt und der Situation
Angepasste. Und dabei hilft Klugheit und Kooperation oft mehr als rohe Gewalt.
Die
Evolution falsch verstanden wäre es schließlich, wenn wir ihr irgendeinen Zweck
oder ein Ziel unterstellen würden. Sie läuft auf nichts hinaus, schon gar nicht
zwangsläufig auf uns Menschen, und überhaupt kennt sie kein richtig oder
falsch, kein gut und schlecht, sondern nur ein anders. Wer nachhaltig überlebt,
hat Recht, und dahin führen viele ebenso unterschiedliche wie gleichwertige
Wege.
Ungefähr
an dieser Stelle würde ein langsam ungeduldig werdender Moses erklären, das sei
ja alles ganz spannend, aber er sähe nicht so recht den Zusammenhang zu seinem
Anliegen, nämlich die Idee von der besseren Alternative zum goldenen Kalb zu
verbreiten. Daraufhin würde der Philosoph ihn zu einem Gedankenexperiment
einladen: Er möge doch bitte für einen Moment eine geistige Verbindung zwischen
der Vielfalt der biologischen Arten und der Vielfalt der Ideen herstellen, der
abstrakten wie der konkreten, und sich dann, mit dem Staunen von Darwin,
fragen, wie es dazu gekommen sei.
Aha,
würde Moses meinen, diese Ideen könnte man gleichsam als geistige Arten
betrachten, die sich ebenfalls in einem Prozess der Evolution und nach den
Prinzipien von Mutation und Selektion entwickelt hätten und weiter entwickeln
würden. Ja, täte der Philosoph sagen, und manche nennten dieses geistige
Äquivalent zu einer Art ein „Mem“. Und Moses, schnell von Begriff, würde
anmerken, Darwins Mem, die Evolutionstheorie, sei offenbar ein sehr
erfolgreiches Mem, von dessen Ausbreitung man folglich einiges lernen könne...