Moses 2.0: Wie wir gemeinsam den Wandel vom Lebensstandard zur Lebensqualität schaffen

Bekenntnisse eines Generalisten für reifende Lebensqualität

28. Die Geschichte vom Mem Memory

Moses – in unserer fiktiven Geschichte natürlich – hat mittlerweile Zugang zur Welt und damit auch zum ganzen im Internet zugänglichen Wissen. Dort findet er ein Zitat von Victor Hugo, das direkt mit seinem Thema zu tun hat:

„Einer Invasion von Armeen kann man Widerstand leisten, aber keiner Idee, deren Zeit gekommen ist.“

Und dann macht er sich auf die Suche nach Informationen über die Meme und die Memetik, die Wissenschaft von der Ausbreitung von Memen. Und weil er assoziativ denkt, stößt er auf ein verwandtes Wort, nämlich Memory, und lernt, dessen Geschichte als die Geschichte eines Mems zu verstehen. Damit wir alle aus der Geschichte vom Mem namens Memory lernen können, hier zunächst die Fakten, wie sie sich in Wikipedia präsentieren:

»Memory (nach englisch memory = Gedächtnis) ist eine von Ravensburger eingetragene Marke für ein bekanntes Gesellschaftsspiel nach dem pairs-Prinzip: Paare gleicher, verdeckt aufliegender Kärtchen müssen durch Aufdecken im Wechsel der Spieler erkannt werden.

Das Ravensburger Memory ist inspiriert vom so genannten Zwillingsspiel der Basler Autorin Berta von Schroeder, welchem kommerziell kein Erfolg beschieden war und welches seinerseits Vorläufer hatte. Dieses als Zwillingsspiel bezeichnete Spiel gelangte 1946 nach London zum Schweizer Militärattaché William Hurter. Das von ihm weiterentwickelte Legekartenspiel erschien nach seiner Rückkehr in die Schweiz erstmals 1959 im Verlag Otto Maier in Ravensburg (heute Ravensburger Spieleverlag), nachdem ein Versuch, das Spiel bei Edition Carlit herauszugeben, erfolglos war, weil Edition Carlit bereits ein ähnliches Spiel mit dem Namen Punta führte. Zur Entstehung des Namens sagte der langjährige Verlagsleiter und Spielexperte Erwin Glonnegger: «Als ich ihn (Hurter) damals gefragt habe, wie heißt das Spiel eigentlich, sagte er: Na, ja, wir haben da keinen so richtigen Namen dafür, in Basel heißt das Spiel "Zwillingsspiel", aber die Nachbarskinder, wenn die immer kamen zum Spiel, oder wenn sie spielen wollten, sagten die: Let's play your memory game. Da sagte ich: Da haben wir doch einen Titel, den nehmen wir.»

Das Ravensburger Memory, von dem bis heute mehr als 50 Millionen Kopien in 70 Ländern verkauft wurden, wird vom Verlag als sein größter Erfolg bezeichnet. Mittlerweile gibt es regelmäßige Turniere.«

Was lernen wir nun daraus? Zunächst, was ein Mem ist. In der Theorie wird ein Mem als „konzeptuelle Informationseinheit“ definiert – nicht sehr anschaulich. Das Spiel Memory dagegen ist ein gut nachvollziehbares Beispiel für ein Mem. Auch eine Melodie oder ein Malstil sind ein Mem, bestimmte Tischsitten ebenso wie eine politische oder wissenschaftliche Idee. Und natürlich auch der Slogan „Vom Lebensstandard zur Lebensqualität“.

Ein solches Mem, so erfahren wir weiter, entwickle sich zuerst im Fühl- und Denkvermögen eines Individuums, werde durch Kommunikation weiterverbreitet und könne sich durch individuelles Nachdenken und durch Kontakt mit anderen Memen entwickeln. All diese Elemente finden wir beim Mem Memory. Zuerst im Kopf einer weiblichen Autorin erdacht, wurde es von einem Militärattaché (sic!) weiterentwickelt und verbreitet.

Interessant ist der Verweis auf Vorläufer der Spielidee, die bis ins Japan des 16. Jahrhunderts reichen sollen. Das Spiel hat also einen Prozess der Evolution durchlaufen, ehe es seine heutige Form erreicht hat. Überhaupt entstehen neue Meme selten blitzartig aus dem Nichts, sie haben vielmehr ihre Vorfahren, und es gibt mehr oder weniger intensive verwandtschaftliche Beziehungen zwischen ihnen. Das klingt doch wirklich verdächtig nach einer Parallele zur Entwicklung der biologischen Arten, oder nicht?

Der Unterschied zwischen einer biologischen Art und einem Mem liegt natürlich darin, dass wir es bei einer Art immer mit etwas Materiellem und damit konkret Fassbarem zu tun haben, während Meme wie etwa eine philosophische Idee für immer immateriell bleiben können. Allerdings können wir eine biologische Art auch als materielle Verkörperung einer immateriellen Information betrachten. Diese Information ist gespeichert im Genom der Art, also in deren gemeinsamen Genen.

Und tatsächlich gibt es unter radikalen Darwinisten die Meinung, der eigentliche Akteur des Lebens seien die „egoistischen Gene“, deren höchstes Ziel es sei, die in ihnen gespeicherten Informationen zu vervielfältigen und damit nachhaltig ihre Existenz zu sichern. In dieser Betrachtungsweise steht also nicht das Gen als Informationsträger noch gar das konkrete Lebewesen als Verkörperung dieser Information im Zentrum, sondern die reine Information. Womit wir dann Gleichstand zwischen Genen und Memen hätten – beide sind im Wesentlichen reine immaterielle Information.

Ebenso radikale Anhänger der Memetik unterstellen den Memen einen ähnlichen eingebauten Drang zu Vervielfältigung und Ausbreitung wie den Genen. So weit brauchen wir gar nicht zu gehen, das heißt, wir können die Frage ruhig offen lassen, und erkennen dennoch auch hier eine Parallele: Meme tendieren dazu, sich auszubreiten. Ohne diese Tendenz, woher auch immer sie genährt wird, gäbe es keine kulturelle Evolution. Im Klartext: Es würde sich nie was ändern, und wir würden immer noch in der Steinzeit leben.

Wenn ein Mem einmal im Kopf eines Individuums entstanden ist und sich ausbreiten möchte, hat es einen wesentlichen Nachteil gegen über der genetischen Information. Anders als diese hat es nämlich keinen automatisch zur Verfügung stehenden Informationsträger wie die Gene, die jederzeit Kopien von sich herstellen und neue Individuen daraus basteln können. Sofern es sich um ein einigermaßen entwickeltes Lebewesen handelt. Nicht alle Gene können direkt neue Lebewesen produzieren. Viren zum Beispiel brauchen dafür einen Wirt, in den sie sich einnisten und ihn veranlassen, neue Viren zu produzieren. Die der Wirt dann aushustet, um neue Wirte anzustecken.

Exakt in dieser Lage befindet sich unser Mem. Es braucht Wirte, um sich einzunisten und um sich zu vervielfältigen. Und es braucht für diese Ansteckung ein Medium. Eines der Kommunikation natürlich. Das kann gesprochene Sprache sein oder ein Bild. Je bessere Kommunikationsmedien zur Verfügung stehen, desto größer die Chance für das Mem, andere Wirte anzustecken und sich auszubreiten. Im Falle von Memory besteht das Medium aus 64 bedruckten Kartonkärtchen in einer Schachtel. Ein hochwirksames Medium offensichtlich, bedenkt man die 50 Millionen verkaufter Spiele...

Natürlich reicht das Medium nicht aus, um den Ausbreitungserfolg des Mems Memory zu erklären. Als Gesellschaftsspiel ist die Art Memory beispielsweise Teil einer gut eingeführten Gattung, nämlich eben jener der Gesellschaftsspiele, was seine Ausbreitung erleichterte. Dann ist das Mem eines von der einfachen Sorte – und einfache Meme haben es immer leichter als komplexe. Wie die Geschichte mit dem Namen zeigt, wurde bei Memory, mehr aus Zufall den aus Strategie, ein geschicktes „Branding“ betrieben, das heißt, man gab dem Ding einen attraktiven Namen, was auch nie schaden kann.

Und schließlich muss ein erfolgreiches Mem auch Saiten in seinen potenziellen Wirten zum Schwingen bringen, die dort schon da sind. Bei Memory üben wir Fähigkeiten, die wir schon immer gut gebrauchen konnten, wenn wir uns merken sollten, hinter welchen Felsen schon wieder die mögliche Beute Gazelle oder der bedrohliche Feind Säbelzahntiger verschwunden waren. Auch diese Erkenntnis müsste Moses eigentlich weiter helfen: Ein Mem breitet sich nur dann erfolgreich aus, wenn es bei genügend potenziellen Wirten eine Resonanz auslöst...

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Markenzeichen

Irgendwie mögen mich die Gottheiten der Sprache nicht richtig. Da ist es doch sonnenklar, dass ein einfaches und prägnantes Markenzeichen sehr dabei hilft, wenn man einem Mem, also einer Idee, zur größtmöglichen Verbreitung verhelfen will, und da ist es auch ebenso klar, dass dieses Markenzeichen bei den Ergüssen eines Philosophen nur aus einem Wort bestehen kann. Einem möglichst einfachen, kurzen und knackigen Begriff.

Und was stellen mir die Sprachschöpfer zur Verfügung? Da will ich eine Alternative zum simplen Spaß formulieren, und was fällt mir dazu ein? Jawohl, Bewusstseinserweiterung. Oder ich behaupte, im Leben ginge es nicht, wie so viele behaupten, um Glück, sondern eben um Lebensqualität. Nur sperrige, vielsilbige Wortungetüme, die kaum jemandem leicht und locker von den Lippen flutschen.

Nun gut, es gibt auch Ausnahmen, wie etwa Reife oder gar Sinn. Und doch mache im mir Sorgen um mein Lieblings-Mem Lebensqualität, dem ich doch eine erfolgreiche Ansteckungs-Karriere wünsche. Ob eine solche mit der Last von fünf Silben wirklich machbar ist?

Vielleicht sollte ich einfach auf andere Qualitäten des Markenzeichens Lebensqualität vertrauen. Schließlich ist es die Hauptaufgabe eines solchen Markenzeichens, auf der Verpackung darauf zu verweisen, was drin steckt. Also zum Beispiel auch, keine falschen Erwartungen zu erwecken. Das tut Lebensqualität. Schon im Wort steckt die Botschaft, da ginge es nicht um vermeintlich so einfache und leicht fassbare Dinge wie Geld oder Glück, sondern um etwas Facettenreiches, Differenziertes und Vielschichtiges, das nicht ganz einfach und locker zugänglich ist, und gerade deshalb viel wertvoller.

Sich auf Lebensqualität als Leitwert einzulassen, bedeutet ja zunächst mal, auf den Klang des Wortes zu hören, auf die Bedeutung der beiden Einzelbegriffe und auf ihren Zusammenklang, bedeutet auch, sich zu öffnen für die Vielfalt der Assoziationen, die durch das Wort ausgelöst werden. Die Resonanz, die der Begriff Lebensqualität auslösen kann, braucht Raum und Zeit zur Entfaltung. Wer beides nicht aufbringen kann und will, und stattdessen lieber den ebenso glitzernden wie illusionären Versprechen vermeintlich einfacherer und attraktiverer Begriffe folgt, kommt als Träger und Verbreiter des Mems Lebensqualität wohl eher nicht in Frage.

Und das ist keine Katastrophe. Ich habe im Laufe meines langen Lebens als Allzweck-Intellektueller gelernt, dass meine Botschaften nie alle erreichen werden, die ich allenfalls erreichen möchte, dazu sind sie einfach zu wenig simpel. Stattdessen sende ich sie raus ins Universum mit dem Adressaten: To whom it may concern. Schon wieder ein sprachliches Handicap, Englisch ist meistens einfach knackiger als Deutsch: „zuhanden derjenigen, die es betreffen mag.“ Schön, dass Sie dazu gehören...