Erste Eindrücke
vom Buch "Die Bewusstseins-Elite":
Das Schlusskapitel
TEIL V
SIE UND
DIE BEWUSSTSEINS-ELITE
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In den eigenen Fußstapfen
Februar 2006
Sieben
Impulse zur Selbstbefragung
1. Die Bewusstseins-Elite
kennt keine Mitglieder-Ausweise.
In fortgeschrittenen Zivilisationen
können es sich die Betreiber von öffentlichen Nahverkehrssystemen
leisten, in ihren Bahnen und Bussen auf die Kontrolle der Fahrscheine
durch Schaffner zu verzichten. An deren Stelle ist ein Modell, eine
Idee getreten, die in den Wagen wörtlich angeschrieben wird: Selbstkontrolle.
Dieses Modell der Selbstkontrolle
gilt weit über den Nahverkehrsbereich hinaus. Einer der hellsichtigsten
Zeit-Diagnostiker unserer Zeit, der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze,
meint dazu: "Die Kernidee der Moderne ist die freie Entfaltung
der Persönlichkeit, ohne dabei die Rechte anderer einzuschränken.
Um beides auszubalancieren, ist Selbstkontrolle und damit Selbstbeobachtung
nötig. Alles, was wir heute als Fortschritt empfinden, entstand
aus dem kreativen Wechselspiel von Handeln und Reflexion des Handelns.
Modernität besteht in der Kultur der Reflexion. Diese Kultur ist
theoretisch unendlich fortsetzbar. Was sich allerdings ändert,
sind die Themen. Je weiter das Können schon gediehen ist, desto
mehr schieben sich Fragen des Seins in den Vordergrund. Es gibt gute
Gründe, auch an diese Fragen modern heranzugehen: sich selbst beobachtend,
reflektierend, skeptisch, unzufrieden, immer auf der Suche nach der
besseren Lösung."
Für eine Elite des Seins,
nämlich des Bewusst-Seins, sollte diese Haltung selbstverständlich
sein. Es ist, noch immer, die gute alte Haltung der Aufklärung,
wie sie Emanuel Kant beschrieb: "Aufklärung ist der Ausgang
des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit
ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung anderer
zu bedienen."
Das gilt auch für unübersichtliche
Zeiten wie die unsrigen, in denen sich die Einsicht von Sokrates verbreitet:
"Ich weiß, dass ich nicht weiß." Gerade dann kommt
es darauf an, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und immer wieder
geistiges Neuland zu betreten. Sich über "Orientierungslosigkeit"
zu beklagen, ist in dieser Optik eine faule Ausrede von Freiheitsängstlichen.
Kant hätte jedem Verzagten, der sich als Opfer der Umstände
inszeniert, weil er davor zurückschreckt, Handelnder zu sein, zugerufen:
"Wage zu wissen!"
Nur mit dieser inneren Grundhaltung
wird man ein Teil der Bewusstseins-Elite. Diese hat keine Strukturen
oder Hierarchien, die dem Individuum irgendwelche Entscheidungen abnehmen
würden. Niemand stellt Ihnen ein Mitgliederausweis aus, niemand
entscheidet darüber, ob Sie würdig seien, Teil der Bewusstseins-Elite
zu sein. Niemand, außer Ihnen selbst.
Einer der Marx-Brothers prägte
mal den unsterblichen Satz, er möchte nicht Mitglied in einem Club
werden, der Leute wie ihn aufnähme. Die Bewusstseins-Elite geht
noch einen Schritt weiter und verabschiedet sich von der Idee des Clubs,
der Mitgliederausweise ausstellt. Freie und eigenverantwortliche Individuen
können darüber selber entscheiden. Wer dafür eine Bestätigung
von außen braucht, gehört wohl eher nicht dazu.
2. Die Bewusstseins-Elite
findet sich über Resonanz.
Bewusstsein mag nicht identisch
sein mit Sprache, aber eine enge Verflechtung lässt sich kaum bestreiten.
Ob wir unser Bewusstsein im inneren Dialog erkunden, oder ob wir uns
darüber mit anderen austauschen, immer ist unsere Sprache dabei
das wichtigste Medium.
BewusstseinsErweiterung ist
deshalb immer auch eine Erweiterung unserer Sprache. Neue Begriffe rücken
in unser Blickfeld, erhalten Aufmerksamkeit und Bedeutung. Neue Ideen,
auch sie in Worte und Sätze gekleidet, werden wichtig, bekommen
Sinn. BewusstseinsErweiterung ist die Aneignung einer neuen Sprache.
Neue Sprachen können
wir immer lernen, doch mit zunehmendem Alter braucht es dazu einen verstärkten
Antrieb. Oder noch besser: eine starke Anziehungskraft. Nur wenn die
neue Sprache für uns attraktiv klingt, lassen wir uns darauf ein.
Ihr Klang ist entscheidend.
Klang heißt Schwingung,
und wenn zwei Wellen im Gleichklang schwingen, entsteht Resonanz. Der
Test, ob eine neue Sprache für uns attraktiv ist, besteht also
in der einfachen Frage: Lösen diese Worte oder Sätze in mir
eine Resonanz aus? Bringen sie etwas zum Klingen? Ahne ich in ihnen
einen Sinn, auch wenn sich dieser mir noch längst nicht vollständig
erschließt?
Die Bewusstseins-Elite beschäftigt
sich intensiv mit sprachlichen Begriffen wie LebensGestaltung, Werte,
LebensQualität und LebensSinn, Reife und Weisheit. Wer solche Begriffe
als "weich" und damit als ohne Bedeutung abqualifiziert, gehört
wohl kaum dazu.
Der erste Schritt der Selbstkontrolle
besteht also darin, herauszufinden, ob solche Begriffe in Ihnen eine
Resonanz auslösen, ob sie Ihnen etwas sagen, ob sie Ihre Neugier
anregen, Ihr Interesse wecken. Das ist mehr als eine abstrakte intellektuelle
Angelegenheit, es geht immer auch um Gefühle. Noch einmal: "Interesse
ist die intellektuelle Form von Liebe." (Thomas Mann)
Nicht nur einzelne Worte
können eine Resonanz auslösen, sondern auch ganze Sätze
oder eben auch nicht. Testen Sie doch mal die folgenden von Gerhard
Schulze:
"Gerade in den Ghettos
des reichen Westens wird deutlich: die weit fortgeschrittene Moderne
fordert dazu auf, sich mehr und mehr einer Sache zuzuwenden, die ich
als "Arbeit der Ankunft" bezeichnen möchte. Das Haus
ist gebaut, nun wollen wir darin wohnen. Aber wie?
Lange haben wir uns darauf
beschränkt, Möglichkeiten zu schaffen, die sich früher
nicht einmal träumen ließen. Diese Periode immerwährender
Steigerung verliert nun ihre prägende Kraft, zumindest im Westen.
Dafür aber haben wir vielleicht erstmals in unserer Geschichte
die Chance, unsere Aufmerksamkeit und unser Geschick etwas anderem
zuzuwenden."
3. Die Bewusstseins-Elite
trägt keine Flagge.
Mit Karikaturen ist das so
eine Sache. In den Tagen der Niederschrift dieser Zeilen gibt es in
der islamischen Welt heftige und gewalttätige Proteste gegen eine
handvoll schwachsinniger dänischer Mohammed-Karrikaturen. Natürlich
sind diese Proteste alles andere als spontan, doch auch die geschicktesten
Manipulatoren hätten keinen Erfolg, könnten sie sich nicht
auf einen kulturellen Urgrund beziehen: den Glauben an eine einzige
und absolute Wahrheit. Eine Karrikatur aber ist immer ein Hinweis auf
die Relativität jeder Wahrheit. Kein Wunder, dass es knallt, wenn
zwei so unterschiedliche Grundüberzeugungen aufeinander prallen.
Den Verfechtern absoluter
Wahrheiten (in allen Lagern) wäre, so fürchte ich, der Witz
hinter meiner Lieblings-Karrikatur völlig unzugänglich. Das
Bild ist dabei so unbedeutend, dass es keine Reproduktion braucht. Es
zeigt einfach ein Gebäude, auf das viele Menschen zuströmen.
Ein Transparent sagt, worum es geht: Kongress der Individualisten.
Für uns vom Megatrend
Individualisierung geprägten Westler ist sonnenklar, dass das ein
Widerspruch in sich ist. In der Wolle gewaschene Individualisten könnten
sich weder auf ein Thema noch auf ein Programm eines Kongresses einigen,
und vermutlich auch nicht auf Ort und Datum. Und vollends in die Wolle
gerieten sie sich, wenn sie sich auf einen Slogan, ein Signet oder eine
Flagge einigen müssten.
Die Bewusstseins-Elite besteht aus Individualisten und wird sich deshalb
nie auf eine gemeinsame Flagge einigen können. Sie betrachtet vielmehr
das Denken in Schubladen, in Schwarz-Weiß, in eindimensionalen
Ideologien, als das größte Hindernis zu einem schöneren
und produktiveren Denken. Wer glaubt, über allgemeingültige
und alleinseligmachende Antworten, egal welcher Art und Quelle, zu verfügen,
gehört deshalb, sorry, nicht zur Bewusstseins-Elite.
Gemeinsam sind der Bewusstseins-Elite
die Fragen, nicht die Antworten. So werden sich die meisten bewussten
Menschen beispielsweise gelegentlich fragen, an welchem geografischen
Ort sie sich am wohlsten fühlen, wo ihre LebensQualität am
höchsten ist. Die Antworten auf diese gemeinsame Frage fallen je
nach Typ (es gibt Stadt-Mäuse und Land-Mäuse) oder Lebenssituation
individuell sehr verschieden aus.
Programme, Forderungskataloge
oder Manifeste, hinter die sich die ganze Bewusstseins-Elite versammelt,
sind demnach nicht zu erwarten, und wer solches in ihrem Namen dennoch
verkündet, wird von ihr mit der Strafe einer lächelnden Nichtbeachtung
belegt. Denn auch die scharfe Grenzziehung zwischen drinnen und draußen,
zwischen Freund und Feind, ist ihr fremd, weil sie statt auf einengendes
"entweder-oder-Denken" ganz auf ein erweiterndes "entschiedenes
sowohl-als auch" setzt. Denk-Uniformen sind der Bewusstseins-Elite
ein Gräuel.
Viele Wege führen bekanntlich
nach Rom, hinein ins Zentrum absoluter Wahrheiten. Wie viele müssen
es da wohl erst sein, wenn der Weg hinaus führt, in die offenen
Weiten eines sich erweiternden Bewusstseins?
4. Die Bewusstseins-Elite
ist nicht elitär.
Das schärfste Killerargument,
das die dringend nötige Aufwertung von Eliten aller Art behindert,
ist der Vowurf, alle Eliten seien elitär. Sie deuchten sich etwas
Besseres, würden den Rest der Welt von oben herab behandeln, seien
überheblich.
Was könnte das heißen?
Nehmen Sie mich, nur so als Beispiel: Seit vielen Jahren lebe ich deutlich
höher als die meisten Europäer in Metern ab Meereshöhe
gemessen. Ich habe mch also bewusst über das Niveau anderer erhoben,
bin somit "überheblich", und zwar ganz wesentlich darum,
weil ich von hier aus einen besseren Aus-, Weit- und vor allem Überblick
genieße.
Diesen (und diverses anderes)
habe ich dazu genutzt, mir einen vertieften Einblick in so seltsame
Phänomene wie die Bewusstseins-Elite zu verschaffen, weshalb ich
darüber jetzt vermutlich wirklich mehr weiß als die meisten
meiner Mitbürger. So wie mit Sicherheit manche mehr wissen über
Oper oder Warentermingeschäfte als der große Rest. Und darum
auf ihrem Gebiet einfach besser sind.
Das Problem mit den elitären
Eliten entsteht erst, wenn aus der unbestreitbaren Tatsache, auf einem
Gebiet besser zu sein als andere, der Anspruch abgeleitet wird, generell
etwas Besseres zu sein. Gegen diese Gefahr gibt es ein wirksames Mittel:
das Wissen, sehr vieles nicht zu wissen. Diese Einsicht wiederum setzt
viel Wissen und Bewusstsein voraus. Über beides verfügt die
Bewusstseins-Elite. Wer sich trotzdem elitär gebärdet, gehört,
sorry, nicht dazu.
Bescheidenheit gereicht der
Bewusstseins-Elite also zweifellos zur Zier, doch man kann sein Licht
auch zu sehr unter den Scheffel stellen. Indem sie neue Fragen stellt,
indem sie ihre Aufmerksamkeit auf bewusste LebensGestaltung richtet,
leistet sie Pionierarbeit. Dieser Weg ist selten schmerzfrei, wie Ulrich
Beck feststellt: "Menschen der individualisierten Existenzlage
sind Abstürzen und Irrsinnsquellen ausgesetzt." Jeder Mensch,
der das Wagnis dieser Bewusstsseinserweiterung dennoch auf sich nimmt,
darf darauf ruhig etwas stolz sein.
Dieser Entwicklung eines
gesunden Selbstbewusstseins der Bewusstseins-Elite steht ein gewichtiges
Hindernis im Weg, nämlich die fatale Neigung unserer Gesellschaft,
auf allen Lebensgebieten nur noch spezialisierte Experten mit möglichst
vielen Fachdiplomen als kompetent zu betrachten. "Heute ist der
Universalgelehrte ebenso zu einer Figur der Vergangenhet geworden wie
der Alleskönner im Alltag und im Berufsleben", meint Gerhard
Schulze, um fortzufahren: "Freilich: Auch Universalgelehrte und
Alleskönner wussten und konnten nicht alles. Wann immer sie jedoch
an ihre Grenzen kamen, waren sie darauf eingestellt, mit tastenden Schritten
selbst Neuland zu erkunden."
Diese früher hoch geschätzten
Menschen werden heute als "Dilettanten" verunglimpft. Für
die Pioniere von BewusstseinsErweiterung und LebensGestaltung ist keine
andere Haltung denkbar. Für die Bewusstseins-Elite gilt deshalb:
Avanti, Dilettanti! Das Bewusstsein, zu einer solchen Elite zu gehören,
verhindert, ganz nebenbei, wirksam alle elitären Abwege.
5. Die Bewusstseins-Elite
sieht das halb volle Glas.
Eine Lektion habe ich in
den Jahren, in denen ich versucht habe, die Ergebnisse meines Forschens
und Denkens anderen zugänglich zu machen, also, auf Neudeutsch,
darüber zu kommunizieren, gelernt: Es bringt gar nichts, bestimmte
Menschen oder Gruppen oder Institutionen als Zielgruppe anzupeilen.
Meme bewegen sich auf ihren eigenen Bahnen. Oder wie der Engländer
sagt: to whom it may concern. Meme erreichen jene, die es etwas angeht.
Oder noch besser: die darauf ansprechen.
So strahlt die Bewusstseins-Elite
ihre Meme als klares Signal aus, in der Hoffnung und im Vertrauen, es
gäbe da draußen Empfänger, die auf diese Frequenz ansprechen,
in denen die Signale etwas zum Klingen bringen. Um allenfalls selber
zum Sender zu werden.
Mehr und mehr sehe ich in
meinem Fall in Form von positiven Rückmeldungen, dass das funktioniert.
Doch manchmal kommen auch andere Zuschriften. Manche versuchen mich
zum Glauben daran zu bekehren, es gäbe doch allgemeingültige
Antworten. Diese nicht mal zu ignorieren, fällt mir leicht. Schwerer
fällt mir eine Reaktion, wenn der Vorwurf kommt, ich sei ja viel
zu privilegiert, um das Elend der Welt wahrzunehmen, und überhaupt
ginge ja eh alles den Bach runter.
Privilegiert? Ja sicher,
wie wir alle im reichen Westen. Darüber hinaus genieße ich
unbestreitbar einige Privilegien, von denen ich mir manche hart erarbeitet
habe, während ich für andere nichts kann. Dafür empfinde
ich eines der kostbarsten menschlichen Gefühle, nämlich Dankbarkeit.
An welchen Adressaten ich die richten soll, ist mir nicht ganz klar.
Klar ist nur der Grundsatz, dass es nicht darauf ankommt, ob wir ein
Geschenk verdient haben, sondern ob wir uns seiner würdig erweisen.
Was die Düsternis der
Welt und der Zukunftsaussichten betrifft, habe ich neulich einem Pessimisten
zurückgeschrieben, sei es für eine realistische Weltsicht
ja wohl unübersehbar, dass es Licht und Schatten gebe, Gefahren
und Chancen, Risiken und Potenziale. Wie das unvergleichliche Gleichnis
vom halb gefüllten Glas zeige, könnten wir an den Fakten nichts
ändern, wohl aber an deren Interpretation. Es steht uns frei, das
Glas halb voll oder halb leer zu sehen.
Wenn ich mich vorwiegend
auf das halb volle Glas konzentriere, dann nicht, weil ich die anderen
Aspekte der Wirklichkeit nicht sehen könnte oder wollte. Das ist
kein Akt der Blauäugigkeit, sondern der Klugheit. Angst fressen
bekanntlich Seele auf. Angst vor der Zukunft reduziert das Sichtfeld,
schafft einen Tunnelblick. Und das ist nun mal das Gegenteil von BewusstseinsErweiterung.
Schwarzmaler und Propheten
des Weltuntergangs gehören bei allem Wohlwollen deshalb, sorry,
wohl eher nicht zur Bewusstseins-Elite. Nur eine optimistisch gefärbte
Gelassenheit ermöglicht eine Selbstgewissheit, die uns hilft, Antworten
zu geben auf die Frage: Wie soll ich leben? Dabei gilt das Motto: Eigne
dich dir selbst an, und kannst den Morgen ohne Furcht erwarten.
6. Die Bewusstseins-Elite
pflegt eine europäische Vision.
Dass Sie und ich uns unsere
Gedanken über BewusstseinsErweiterung und LebensGestaltung machen
können, erscheint uns beiden selbstverständlich. Ist es aber
nicht. Mancherorts gälte schon der Gedanke, der einzelne Mensch
sei nicht einfach irgendeinem höheren Willen unterworfen, sondern,
jedenfalls zu wesentlichen Teilen, selber Eigner und Schöpfer seines
Lebens, als Ketzerei oder Gotteslästerung.
Um falschem Stolz gleich
vorzubeugen: So lange ist das bei uns auch noch nicht her. Bis die Aufklärung
wirklich in breiten Kreisen Früchte getragen hat, brauchte es viel
Zeit. Dasselbe gilt für eine andere europäische Errungenschaft,
nämlich die weitgehende Beseitigung von Hunger und Krieg. Was ich
im vorangehenden Impuls als persönliches Gefühl von Dankbarkeit
beschrieben habe, lässt sich leicht auf das Kollektiv Europa übertragen:
Unsere heutigen Privilegien sind eine Mischung aus Verdienst und Gnade.
Entscheidend ist nicht eine exakte Aufteilung der Gründe, sondern,
was wir mit diesem Geschenk anfangen.
Die Bewusstseins-Elite hat
dafür eine Vision. Diese Vision enthält im Kern den Gedanken,
die Aufklärung könne und müsse weitergehen, wenn auch
auf anderen Feldern und mit anderen Mitteln.
Der Geist der Aufklärung
hat, zunächst in Europa und dann weit darüber hinaus, enorme
Erfolge darin gehabt, die Beherrschung der Welt vernünftig zu organisieren.
Das brachte Wissenschaft und Technik zum Blühen und schuf die Voraussetzungen
für unseren Wohlstand. Wir haben tatsächlich den Raum unserer
Möglichkeiten sehr weit erweitert, waren erfolgreich darin, immer
mehr zu können.
Auch auf die Gefahr, mich
zu wiederholen, ist festzustellen, dass dieses Projekt daran ist, seine
Schubkraft zu verlieren. Wir wollen gar nicht immer mehr Möglichkeitsräume
bauen, wir wollen jetzt akommen und in den bestehenden Räumen leben.
Dazu brauchen wir neue Fähigkeiten. Vom Können zum Sein.
Keine andere Kultur hat bessere Voraussetzungen, diesen nächsten
Schritt der kulturellen Evolution zu schaffen, als die europäische.
Nur hier konnte so etwas wie die beschriebene Bewusstseins-Elite entstehen
und damit zumindest eine kollektive Ahnung davon, dass dieser
nächste Schritt überhaupt fällig ist. Anderswo hat man
davon buchstäblich noch keine Ahnung.
Die Bewusstseins-Elite ist
also nicht nur der Prototyp dieser nächsten evolutionären
Ebene innerhalb der eigenen europäischen Gesellschaft, sondern
Europa könnte global gesehen ebenfalls zu einem solchen Vorreiter
werden. Gerade weil es alt ist. Alt an Traditionen, an denen die nächsten
Schritte der Aufklärung anknüpfen können. Und auch demographisch
alt. Die älter werdende Gesellschaft in Europa könnte nämlich
auch eine reifere und weisere werden. Das jedenfalls ist die Vision
der Bewusstseins-Elite, die weiß, dass eine starke Vision jener
Ort ist, an dem sich wünschbare und denkbare Zukunft begegnet.
7. Die Bewusstseins-Elite
spielt ein Spiel.
Verbiesterte Visionäre
sind eine schreckliche Gattung, weil fanatisch. Das wird man, wenn man
sich selbst und seine Erkenntnisse und Anliegen tierisch ernst nimmt.
Wobei diese Wortwahl natürlich eine Beleidigung der Tierwelt darstellt.
Wer Tiere ein bisschen kennt, weiß, dass diese keineswegs alles
immer ernst nehmen, sondern sehr wohl selbstvergessen und ohne Zweck
spielen können. Was für uns Menschen noch viel mehr gilt.
So wichtig die Themen der
Bewusstseins-Elite für diese selbst und für das kollektive
Bewusstsein auch sein mögen: Wer immer nur freudlos darüber
grübelt, verrennt sich leicht in einer Sackgasse. Spielerische
Distanz zu seinem Innenleben und seinen Einsichten, eine Prise Humor
und Ironie, eine gewisse Leichtigkeit des Seins bewahren vor diesen
Fallen.
Sind Sie mit solchen löblichen Eigenschaften ausreichend ausgerüstet?
Hier ein kleiner Test in Form eines Gedankenspiels: Wieviele unterschiedliche
Identitäten gibt es rund um ein Fußballspiel? Nun könnte
es ja sein, dass Sie Fußball nicht mögen oder sonstwie indisponiert
sind. Deshalb hier eine kleine Nachhilfe. Es sind sieben:
1. Der Spielball: Ich werde
ständig nur getreten.
2. Der Spieler: Ich trete, also bin ich.
3. Die Mannschaft: Ich gehöre zu einem Wir.
4. Die Zuschauer: Ich beobachte. Ich identifiziere mich mit meinem
Team.
5. Das Zuschauerrund: Ich bin Teil einer Welle.
6. Die Welt: Ich konsumiere, verstehe, gestalte sie und habe an ihr
Teil.
7. Das All: Ich bin Staubkorn in etwas Größerem.
Gelänge es uns, diese
verschiedenen Sphären unserer Identität (Sie haben längst
gemerkt, dass der Fußball "nur" ein Gleichnis war) spielerisch
tanzend zu verbinden, so hätten wir weder Probleme mit unserer
Identität noch mit dem Sinn. Unmöglich, das sagt meine Lebenserfahrung,
ist es nicht. Wir können unsere Identität in ganz unterschiedliche
Richtungen erweitern. Zugleich.
Nabelschau ist dafür
schon aus anatomischen Gründen die falsche Perspektive. Schon eher
hilft es, das eigene Leben auch als Spiel zu betrachten. Das heißt
nicht, alles weniger Erfreuliche rosa einzufärben. Auch ein Spiel
ist kein reines Zuckerlecken, im Fußball können Knochen krachen.
Doch wenn uns schon nichts
anderes übrig bleibt, als das Spiel zu Ende zu spielen, tut es
uns und der Welt besser, wenn wir uns dabei einer gewissen Lockerheit
befleißigen. Wenn bewusste LebensKunst angesagt ist, kann nicht
mehr gelten "ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst".
Deshalb zum Schluss der obligate
Warnhinweis auf Risiken und Nebenwirkungen: Sich als Teil der Bewusstseins-Elite
zu empfinden, mag als harmloses Gedanken-Spiel wirken. Doch es könnte
mehr daraus werden. Lebendiger Ernst.
Titel
und Klappentext
Inhaltsverzeichnis
Vorwort:
Sie sind die Bewusstseins-Elite!
Einleitung:
Endlich enttarnt: Der Geheimdienst Ihrer Majestät, der Evolution
Schlusskapitel:
SIE UND DIE BEWUSSTSEINS-ELITE. Sieben Impulse zur Selbstbefragung