Arbeitslosigkeit
gilt den meisten Menschen als beklagenswertes Schicksal, und zwar weniger wegen
des Verlusts an Einkommen, sondern weil jemand, der seine Arbeit los ist, arm
dran ist, eines zentralen Lebensbereichs, oder, wie wir sagen würden, einer
wichtigen Lebensqualitäts-Sphäre beraubt.
Das
war keineswegs immer so. In der Antike und bis weit ins Mittelalter hinein
waren die, die arbeiteten, entweder arme Schlucker oder Sklaven. Die Elite
vermied es tunlichst, zu arbeiten, sie frönte ganz selbstverständlich dem
Müßiggang. Was für ein Kontrast zu den heutigen Eliten der Topmanager und
Spitzenpolitikerinnen, die zur Legitimation ihrer Position gerne auf ihre
überfüllten Terminkalender als Beweis für ihren überdurchschnittlichen
Arbeitseinsatz verweisen.
Arbeit
als bedeutsame Lebensqualitäts-Sphäre einzuschätzen, ist also keineswegs
selbstverständlich. Wenngleich diese Bedeutung für die meisten Menschen von
heute in unseren Breitengraden faktisch existiert. Arbeit sorgt eben nicht nur
für Einkommen, sondern auch für Status und Sinn. Und hat deshalb ein gutes
Image. Nur führt das mal wieder zu Übertreibungstendenzen. Wenn wir glauben,
noch mehr Arbeit sei immer noch besser, dann befinden wir uns auf dem Holzweg.
Wer eine Lebensqualitäts-Sphäre zu sehr aufbläst, gefährdet dadurch andere,
ebenso wichtige. Das ist der tiefere Sinn der viel beschworenen
„Work-Life-Balance“, wobei ich mich immer gefragt habe, worin denn der
Gegensatz bestünde, und ob Arbeit denn nicht auch Teil des Lebens sei.
Der
achtzigjährige Bauer in meiner Umgebung jedenfalls, der nach wie vor bei jedem
Wetter irgendwo draußen am Werken ist, trotz eines leichten Schlaganfalls und
Verletzungen beim Holzschlag, kann, allen Versprechen, kürzer zu treten, zum
Trotz, gar nicht anders, denn Arbeit ist sein Leben. Das müssen wir uns nicht
unbedingt zum Vorbild nehmen, doch Tatsache bleibt, dass unsere Arbeit eng mit
unserer Lebensqualität gekoppelt ist, im Guten wie im Schlechten. Arbeit kann
ebenso gut eine einflussreiche Lebensqualitäts-Fördererin wie eine ebensolche
Lebensqualitäts-Killerin sein.
Doch
ist „Arbeit“ überhaupt die richtige Bezeichnung und Definition für die
Lebensqualitäts-Sphäre, von der wir hier sprechen? Verorten wir diese richtig,
wenn wir sie einfach von „Freizeit“ abgrenzen? Was meinen wir überhaupt mit
„Arbeit“? Denken wir dabei nur an bezahlte Tätigkeiten? Was ist dann mit jenen
Tätigkeiten außerhalb unseres Jobs wie Hausarbeiten oder Steuererklärungen
ausfüllen, denen immerhin zumindest die Schattenseiten unseres Bildes von
Arbeit anhaften, nämlich dass sie ungeliebt und unfrei ausgeübt werden?
Unsere
Vorstellungen von einer strikten Trennung zwischen Arbeit und dem Rest des
Lebens entsprechen den Realitäten des industriellen Zeitalters. Für den alten
Bauern gelten sie viel weniger. Und für den modernen Freiberufler, der
gleichsam Tag und Nacht erreichbar und am Tüfteln ist, ebenso wenig. Dasselbe
gilt für den Professor der Geisteswissenschaften, der mir schon vor Jahrzehnten
auf die Frage, wie viele Stunden er pro Woche arbeite, nicht antworten konnte,
weil ihm oft in der Badewanne oder beim Jäten im Garten etwas einfiele und er
nicht wisse, ob er das nun als Arbeitszeit oder als Freizeit verbuchen solle.
Dazu
kommt, dass wir in der Zeit, in der wir keiner bezahlten Arbeit nachgehen, also
in unserer Freizeit oder nach unserer Pensionierung, ja keineswegs einfach
nichts tun. Wir treiben Sport und betätigen uns ehrenamtlich, putzen die
Wohnung und mähen den Rasen, wir lesen und sehen fern, unterhalten uns mit
Freunden oder betreiben ein Hobby. Kurzum, wir widmen uns Tätigkeiten, die
andere als bezahlte Arbeit betreiben. Der Unterschied zwischen diesen Profis
und uns Amateuren besteht keineswegs zwangsläufig in der Qualität der
Tätigkeit, aber immer in der Existenz oder eben Nichtexistenz von Bezahlung
dafür.
Abgesehen
von dieser materiellen Gratifikation kann jede Tätigkeit, egal ob bezahlt oder
nicht, wesentliche Beiträge zu unserer Lebensqualität leisten, indem sie uns
hilft, Werte zu realisieren, die uns wichtig sind: Selbstverwirklichung.
Kreativität. Etwas bewegen können. Einen Beitrag zum Ganzen leisten. Sinn.
Identität. Menschliche Bindungen. Statt von der Sphäre der Arbeit spreche ich
deswegen lieber von der Sphäre des Tuns. Arbeit gehört dazu, aber eben nicht
allein. Wichtig für unsere Lebensqualität ist, was und wie wir es tun, und
nicht, wo und für wen und zu welcher Bezahlung.
Natürlich
kommen wir, jedenfalls so lange, bis wir eine ausreichende Rente beziehen
können, gar nicht umhin, einen Teil unseres Tuns zu zweckentfremden, indem wir
eine Arbeit nicht als reinen Selbstzweck und aus purem Spaß an der Freud
verrichten, sondern um damit das nötige Geld zu verdienen. Im Interesse unserer
Lebensqualität empfiehlt es sich allerdings, diesen Anteil möglichst klein zu
halten. Im Idealfall werden wir für unsere Tätigkeiten, die uns am meisten Spaß
machen und die wir am besten können (was meistens Hand in Hand geht), auch noch
bezahlt. Oder, aus der Sicht des Brötchengebers, würden wir eine Tätigkeit auch
ausüben, wenn wir dafür nichts bekämen. Wie immer sind das Idealziele, die wir
so zwar selten erreichen, denen wir uns aber immer annähern können.
Wenn
wir die Auswirkungen der Sphäre des Tuns auf unser generelles
Lebensqualitäts-Konto bedenken, sollten wir jedenfalls immer unser gesamtes
Tätigkeiten-Portfolio ins Auge fassen. Wenn unsere Arbeit im engeren Sinne zu
wenig zu unserer Lebensqualität beiträgt oder diese gar verschlechtert, sollten
wir uns außerhalb davon befriedigendere Tätigkeiten suchen. Oder den Job
wechseln.
Theoretisch
ist es denkbar, dass die Sphäre des Tuns für jemanden keinerlei Bedeutung hat,
weil für ihn der ideale Lebenszweck darin besteht, die ganze Zeit auf der
faulen Haut zu liegen und darauf zu warten, dass ihm die gebratenen Tauben von
selbst in den Mund fliegen. Schlaraffenland halt. Für die meisten von uns
besteht die Vorstellung hoher Lebensqualität nicht aus diesem Traum des
permanenten süßen Nichtstuns. Auch wenn das zwischenrein wunderbar erholsam
sein kann. Doch irgendwann nach einer Periode im Liegestuhl entsteht dieses
bekannte Kribbeln. Wenn wir jetzt nichts tun, wird uns unwohl.
So
sind wir nun mal programmiert, ob durch die Biologie oder die Gesellschaft oder
beides, sei mal dahingestellt. Die meiste Zeit unseres Lebens müssen wir
einfach irgendetwas tun, sonst ist uns nicht wohl. Untätigkeit kann ein
gewichtiger Lebensqualitäts-Killer sein. Umso wichtiger ist es, dass wir uns
genau überlegen, was wir wann wie tun wollen. Sinnvolles Tun trägt entscheidend
zu unserer Lebensqualität bei. Dummerweise sind wir wieder die einzigen, die
herausfinden können, was für uns selbst sinnvolles Tun bedeutet...