Zu
einer Zeit, als Arbeit im Allgemeinen weit weniger hoch im Kurs stand als heute
(siehe Kapitel über die Sphäre des Tuns), formulierte der heilige Benedikt als
Hauptregel für die Mönche seines Ordens: Ora et labora! Bete und arbeite! In
unserer materialistisch geprägten Kultur ist das Beten verschwunden, der
ökonomische Imperativ lautet vielmehr: Arbeite und konsumiere!
Ob
das schon der beste Rat ist, wenn es um unsere Lebensqualität geht, ist
fraglich. Vielleicht sollten wir uns doch wieder einmal fragen, ob an der
Weisheit, wonach der Mensch nicht vom Brot allein lebe, etwas dran sein könnte.
Stutzig machen nämlich Forschungsergebnisse, wonach gläubige Menschen
glücklicher sind und in stabileren Beziehungen leben, als solche ohne religiöse
Bindungen.
Müssen
wir uns also nun alle in den Schoß von Mutter Kirche zurück flüchten, und schon
steigt unser Lebensqualitäts-Konto rasant nach oben? Ich fürchte, ganz so
einfach geht das nicht, denn dieser Weg zurück ist zumindest für einigermaßen
aufgeklärte und kritische Zeitgenossen verbaut. Wenn jemand an Gott glauben
kann, umso besser für ihn, aber viele können (und wollen) das schlicht nicht
mehr.
Wenig
halte ich auch von der Gegenposition eines fundamentalistischen Atheismus, der
auf Teufel komm raus daran glauben muss, dass es keinen Gott gibt. Meine
Lebensqualität jedenfalls kann ganz gut damit leben, dass sich diese Frage
nicht entscheiden lässt und damit offen bleiben muss.
Es
bleibt die Geschichte mit den gläubigen Paaren, die offenbar besser in der Lage
sind, miteinander und mit den beim Zusammenleben unvermeidlichen Frustrationen
umzugehen (was natürlich ihre Lebensqualität positiv beeinflusst) – weil
sie glauben, ihre Beziehung sei von Gott gestiftet oder zumindest abgesegnet.
Sie erleben sich als eingebettet in eine höhere Macht, das heißt, sie empfinden
zusätzlich zur horizontalen Dimension ihrer Beziehung, also der Begegnung
zwischen zwei Menschen auf gleicher Ebene, auch noch so etwas wie eine
vertikale Dimension, die sie mit einer höheren Ebene verbindet.
Und
das ist der entscheidende Punkt, die vertikale Verbindung zu einer höheren
Ebene. Dazu muss man nicht an Gott glauben, denn „Gott“ ist ja nicht mehr als
eine von vielen möglichen Bezeichnungen für diese höhere Ebene. Andere nennen
sie Buddha oder Shakti oder Evolution, und wieder andere, zu denen ich mich
auch zähle, ziehen es vor, gar keine Bezeichnung zu verwenden, weil jede
Benennung jenes Unfassbare auf das mickrige Maß menschlichen
Wahrnehmungsvermögens reduziert. Das Verbot mancher Religionen, sich von jener
höheren Ebene ein Bild zu machen oder dem Göttlichen einen Namen zu geben, macht
ja durchaus Sinn. Ein berühmter Philosoph des zwanzigsten Jahrhunderts
formulierte es so: Worüber man nicht reden kann, soll man schweigen!
Für
unsere Lebensqualität ist es ohnehin nicht wichtig, welchen Namen diese höhere
Ebene trägt – ja nicht einmal, ob sie überhaupt existiert. Wichtig ist
ausschließlich unsere Verbindung zu dieser Sphäre des Unsichtbaren, also die
vertikale Dimension unseres Daseins. Diese vertikale Dimension nennen manche
Religion, andere sprechen von Esoterik oder Spiritualität. Doch auch hier zählt
der Name weniger als die Existenz des Phänomens.
Woher
kommt es, dass für viele Menschen dieses Gefühl einer Verbindung zu einer wie
auch immer gearteten höheren Ebene ein wichtiges Element ihrer Lebensqualität
ist? Worin besteht die Belohnung dafür, sich diese Verbindung zum Unsichtbaren
zu erschließen? Wenn wir all die verschiedenen Spielarten dieser Erschließung
der vertikalen Dimension vergleichen, kann die Antwort nur lauten: aus Sinn.
Die vertikale Dimension gibt uns etwas, wonach menschliche Wesen immer streben,
sobald sie es sich leisten können, nämlich das Gefühl von Sinn. Und dieses
Gefühl, unser Leben hätte so etwas wie einen Sinn – oder, besser,
verschiedene Sinne – kommt einer Direkteinzahlung auf unser
Lebensqualitäts-Konto gleich.
Natürlich
könnten wir uns jetzt darüber streiten, ob es wirklich die Verbindung zur
höheren Ebene ist, die uns Sinn gibt, oder ob es nicht vielmehr wir sind, die
den Dingen Sinn verleihen. Aber das ergäbe wenig Sinn. Sinnvoller ist die
Frage, was uns die Empfindung von Sinn eigentlich sagen will: Wenn etwas Sinn
macht (oder, sprachlich tatsächlich nicht nur korrekter, sondern auch
sinnvoller: Sinn ergibt), dann heißt das: Dieses etwas stimmt. Es ist im Lot.
Es ist so, wie es sein sollte.
Das
ist natürlich ein gutes Gefühl, das unsere Lebensqualität ungemein anhebt.
Unser ausgeprägtes Gefühl für Sinn ist so etwas wie ein Thermostat in einem
Regelkreis. Meldet es Sinn, heißt das „alles im grünen Bereich“ – auch
unsere Lebensqualität; meldet es dagegen Abwesenheit desselben, stimmt etwas
nicht, und unser Lebensqualitäts-Konto läuft Gefahr, abzustürzen.
Weil
dieses Konto umgekehrt wächst und gedeiht, wenn wir darauf unsere Empfindung
von Sinn einzahlen, lohnt es sich, möglichst viele Sinn-Quellen anzuzapfen
– natürlich nur, sofern sich das mit vernünftigem Aufwand realisieren
lässt. Und das Angebot potenzieller Sinn-Quellen ist breit gefächert, so dass
sich jede und jeder daraus sein persönliches Menü zusammenstellen kann.
Mein
Orakel, das heißt mein Netz, nennt folgende Sinn-Quellen (in aufsteigender
Reihenfolge ihrer Nutzung): Geheimnisse der Evolution. Esoterik und
Spiritualität. Religiöser Glaube. Allgemeine Geschichte. Philosophie.
Wissenschaften. Kunst und Kultur. Persönliche Geschichte. Schöpferisches Tun.
Naturerleben. Beziehungen zu anderen Menschen. Das eigene Innere. Und natürlich
können Sie diese Liste potenzieller Sinn-Quellen je nach persönlichem Gusto
ausweiten und vertiefen. Hauptsache, sie ergeben zusammen einen genügenden
Zufluss an Sinn auf Ihr Lebensqualitäts-Konto.
Hier
schlägt nun vollends die Stunde der Individualisierung der persönlichen Lebensqualitäts-Portfolios.
Wie Sie Ihre Sphäre des Unsichtbaren – und damit der Sinn-Quellen für Ihr
Leben – gesamtheitlich und ism Detail ausgestalten, bleibt ganz allein
Ihrem innenarchitektonischen Geschick vorbehalten. Hauptsache, Sie vergessen im
Trubel der übrigen Lebensqualitäts-Sphären die vertikale Dimension und deren
Bedeutung für eine nachhaltige Lebensqualität nie ganz...