Moses 2.0: Wie wir gemeinsam den Wandel vom Lebensstandard zur Lebensqualität schaffen

Bekenntnisse eines Generalisten für reifende Lebensqualität

36. Ausstrahlung

Ausstrahlung kann ein technischer Begriff sein: Eine Sendung wird ausgestrahlt. Dieses Modell, so haben wir gesehen, eignet sich nicht für die Verbreitung der Lebensqualitäts-Meme. Genauso wenig lassen sich die Menschen, die Lebensqualität zu ihrem Leitwert gekürt haben, als Bewegung organisieren, die straff hinter einer Fahne oder Standarte marschiert. Träger der Lebensqualitäts-Meme können nun mal keine Kollektive sein, sondern immer nur individuelle Köpfe.

Weit besser als die Fahne eignet sich deshalb das Wirtshausschild als Symbol für die Ausbreitung der Idee Lebensqualität. Im Wirtshaus wird zusammen gesessen und geschwatzt, wird also gleichsam die Urform von Vernetzung zelebriert. Und bei diesem zwischenmenschlichen Austausch wird die zweite Bedeutung des Wortes Ausstrahlung relevant: Menschen mit großer Ausstrahlungskraft überzeugen besser.

Diese Ausstrahlung ist ein Kind von Echtheit: Wer ein Anliegen authentisch vertritt, indem er es selber lebt, wird dieses Anliegen erfolgreicher verbreiten als jemand, der seine eigenen Ideen nicht selber lebt, oder sie, noch schlimmer, nicht einmal richtig verstanden hat. Von daher rührt mein Plädoyer dafür, sich mit dem Thema Lebensqualität mit den Mitteln der Selbstreflexion erst einmal vertieft vertraut zu machen, ehe man damit an die Öffentlichkeit tritt. Und auch mein Einsatz für vermehrte Transparenz rund um Lebensqualität basiert darauf, dass Menschen, denen ihr Anliegen offensichtlich vertraut ist, und die darüber viel wissen, eine überzeugendere Ausstrahlung haben.

Damit will ich natürlich keineswegs dazu aufrufen, sich erst einmal ein Jahrzehnt lang zum Zwecke innerer und äußerer Studien zurückzuziehen, ehe man wieder die Klappe aufmacht und sich zum Thema Lebensqualität äußert. Schließlich lernen wir gerade durch Gespräche und Austausch, und ein Vergleich zwischen Ihren Antworten auf Fragen zur Lebensqualität (siehe vorangehendes Kapitel) und denjenigen Ihrer Mitmenschen kann sehr aufschlussreich sein.

Wenn bei Ihnen die Überzeugung genügend gereift ist, Lebensqualität sei ein sinnvoller Leitwert, und es lohne sich, sich eingehender mit dem eigenen Lebensqualitäts-Konto und dessen Killern und Förderern zu beschäftigen, dann besteht kein Grund, mit dieser Überzeugung hinter dem Berg zu halten. Reden Sie mit Ihren Mitmenschen darüber. Schreiben Sie einen Brief an Ihr Leibblatt oder Ihren Lieblingssender und fordern Sie mehr Beiträge rund um das Thema Lebensqualität. Verweisen Sie in einem Netz-Kommentar darauf. Gründen Sie eine entsprechende Gruppe bei Facebook. Besuchen Sie Websites zum Thema. Und, ganz wichtig, empfehlen Sie diese meine Ausführungen an Ihr eigenes Netz weiter...

Scherz beiseite: Für die Ausbreitungsprozesse von Memen wie den unsrigen gibt es weder feste Regeln noch operative Pläne. Es handelt sich dabei um organische Prozesse, und die sind bekanntlich nicht mit dem Drücken einiger Knöpfe zu regeln. Sie entwickeln sich spontan und aus sich heraus. Worauf wir vertrauen dürfen.

Eines steht jedoch schon fest: Meme mutieren während Ihrer Ausbreitung. Was Sie gemeint haben, ist nicht unbedingt das, was ankommt. Jeder neue Träger-Kopf wird die Lebensqualitäts-Meme gemäß seinen eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen abändern. Und das ist ganz im Sinne des Erfinders.

An der Kernbotschaft wird sich trotz dieser Mutationen nichts ändern: Lebensqualität ist wichtiger als Lebensstandard. Lebensqualität eignet sich hervorragend als persönlicher und als gesellschaftlicher Leitwert. In Lebensqualität zu investieren, lohnt sich. Das Modell des Lebensqualitäts-Kontos ist eine gute Methode, im eigenen Leben die Lebensqualitäts-Killer zu vermeiden und die Lebensqualitäts-Förderer gezielt zu suchen.

Die Einsicht in die Wahrheit dieser Erkenntnisse wird sich zu einem Gutteil von selbst ausbreiten, denn der Tanz um das goldene Kalb hat sich definitiv als untauglich erwiesen, uns Identität, Orientierung und Sinn zu geben. Die Suche nach überzeugenderen Alternativen wird sich also fast zwangsläufig verstärken, und wer auf der Suche nach solchen Alternativen ist, stolpert eines Tages automatisch über den Leitwert Lebensqualität.

Insofern entspricht der Werte-Wandel vom Lebensstandard zur Lebensqualität der Logik der kulturellen Evolution. Damit sind wir zwar auf der richtigen Seite, aber as bedeutet leider nicht, dass sich die Lebensqualitäts-Meme mit Sicherheit von allein ausbreiten werden, auch wenn wir die Hände in den Schoß legen. Gerade die kulturelle Evolution braucht ihre Agentinnen und Agenten, also Menschen, die Einsichten haben und diese weitergeben.

Der Tanz um das goldene Kalb wird nur dann als Auslaufmodell ausgemustert, wenn eine überzeugende Alternative zur Verfügung steht – und wenn diese Alternative auch bekannt ist. Dass es diese Alternative in Form des Leitwerts Lebensqualität gibt, wurde in meinen Ausführungen hoffentlich einigermaßen stichhaltig nachgewiesen. Um sie bekannt zu machen, steht kein Moses 1.0 zur Verfügung. Die Ausbreitung dieser Erkenntnis kann nur von unten erfolgen, durch die Vernetzung von Menschen, die sie bereits in sich tragen, und durch deren Einsatz in leibhaftiger oder virtueller Kommunikation.

Die im Titel meiner Überlegungen gestellte Frage, wie wir gemeinsam den Wandel vom Lebensstandard zur Lebensqualität schaffen, lässt sich also ganz einfach beantworten: Indem Menschen wie Sie und ich ihn vorleben, darüber reden und als authentische Prototypen ansteckend wirken. Was eine ziemlich tief reichende Konsequenz hat, die Sie mit ziemlicher Sicherheit schon registriert haben: Sie sind Moses 2.0.

Na ja, jedenfalls auch. Niemand schafft diesen epochalen Wandel alleine. Deshalb ist im Titel auch bewusst von „wir“ und von „gemeinsam“ die Rede. Zum Glück sind wir schon viele. Nun müssen wir das nur noch merken und daraus entsprechendes Selbst-Bewusstsein schöpfen. Dann steht einer erfolgreichen Verbreitung der Meme vom Vorrang der Lebensqualität nichts mehr im Wege.

Und sollte es doch langsamer gehen als erhofft, was meistens eintrifft, dann sollte uns dies Anlass zur Selbstbescheidung und zum Vertrauen in die sich selbst organisierenden Kräfte der kulturellen Evolution sein. Wie sagt es ein afrikanisches Sprichwort so schön? „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht...“

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Anfang

Während ich diese letzten Zeilen schreibe, herrscht bei mir draußen, obwohl es bereits Ende Februar ist, noch tiefster Winter. Das könnte mich theoretisch melancholisch, ja depressiv stimmen – wenn ich nicht in vielen Jahren der Erfahrung mit Jahreszeiten das Vertrauen gewonnen hätte, dass der Frühling auch dieses Jahr mit Sicherheit kommen wird.

Ganz so tief ist mein Vertrauen in die kulturelle Evolution naturgemäß nicht. Das liegt unter anderem daran, dass diese nicht in so schön absehbaren regelmäßigen Zyklen verläuft wie die Jahreszeiten. Und es liegt auch daran, dass wir von wesentlich größeren Zeiträumen reden. Immerhin ist es jetzt 37 Jahre her, seit mir Lebensqualität als Begriff zum ersten Mal begegnet ist. Und es ist noch keineswegs mit Sicherheit absehbar, ob und wann der Wandel vom Lebensstandard zur Lebensqualität wirklich stattfindet.

Berufs-Evolutionäre wie ich brauchen also einen langen Atem. Zäh und hartnäckig müssen sie den Gegenstand ihres Interesses umkreisen und aus immer wieder neuen Perspektiven ausleuchten, müssen ihre Erkenntnisse immer wieder in neue Formen gießen und unters Volk bringen – immer mit ungewissen Erfolgsaussichten.

Natürlich erinnert mich das gelegentlich an den Mythos von Sisyphos, dem der Stein, den er den Berg hoch rollen sollte, immer wieder kurz vor dem Gipfel entwischt, worauf er wieder von vorne beginnen muss. Camus meinte dazu, wir müssten uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Das kann ich nicht durchgängig bestätigen, aber doch wenigstens teilweise bejahen: Diese meine Tätigkeit gibt mir Identität, Orientierung und Sinn, und macht darüber hinaus auch viel Spaß. Kurzum: Sie trägt entscheidend zu meiner persönlichen Lebensqualität bei.

Und sie hat, gerade weil sie so wenig kurzfristig messbare Erfolge zeitigt, noch einen entscheidenden Vorteil: Sie ist nie zu Ende. Sie besteht im Gegenteil so zu sagen permanent aus neuen Anfängen. So wie jetzt. Kaum ist dieses Projekt einer Internet-Publikation fertig, winkt ein neuer Anfang.

Wie der aussehen wird, weiß ich noch nicht, das liegt in der Natur der Sache. Fest steht nur, dass ich weiterhin als Teil von Moses 2.0 aktiv sein und meinen Beitrag zur Ausbreitung der Lebensqualitäts-Meme leisten werde. Hoffentlich zusammen mit Ihnen.

Nachdem ich bisher kein einziges Mal meinen Lieblingsdichter Hermann Hesse zitiert habe, folgt hier ganz zum Schluss doch noch eine seiner bekanntesten Zeilen: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...“