FROM: Xenia Futura
TO: Xenia Präsens
DATE: 04.01.2029 21:18:01
SUBJECT: Quanten-Transporte
Liebe Schwester in der Zeit
Um ein Haar hätte ich dieses Mail nun
doch mit dem altbiblischen "Fürchte Dich nicht!"
angefangen, mit dem die Engel normalerweise Normalsterbliche begrüssen.
Das durchaus mit Grund, ist Furcht doch eine ganz normale Reaktion,
wenn plötzlich und unverhofft Wesen auftauchen und mit einem
kommunizieren, an deren Existenz man allerhöchstens theoretisch
geglaubt hat. Nun habe ich zwar noch immer wenig Engelsgleiches
an mir, doch das Erscheinen einer leibhaftigen Botschaft aus der
Zukunft kann natürlich ebenfalls Furcht auslösen.
Und zwar auch bei Dir. Ich muss es wissen,
ich habe es schliesslich selbst erlebt, damals, in meiner Vergangenheit,
als ich Du war. Obwohl das jetzt genau einundzwanzig Jahre her
ist, erinnere ich mich gut an die damaligen Gefühle. Zunächst
war es nur ein leiser Ärger darüber, dass sich jemand
offenkundig einen Scherz mit mir erlaubte. Die Furcht kommt erst
mit dem übernächsten Abschnitt.
Nur der Vollständigkeit halber rate ich
Dir dringend, diesen nächsten Abschnitt sofort zu löschen,
sobald Du ihn zwei- oder dreimal gelesen hast. Nötig wäre
dieser Rat natürlich nicht, Du siehst ja gleich selbst, dass
ich Dich darin an einige Dinge aus unserer gemeinsamen Vergangenheit
erinnere, die, wenn sie in unbefugte Hände gerieten, nicht
gerade gefährlich wären (so Schlimmes haben wir bekanntlich
nie angestellt), aber doch lästig und peinlich. Ich hätte
diesen Teil ja gerne als Anhang angelegt, aber das geht auf diesem
Kanal leider nicht, also lösche ihn gründlich, bevor
Du meine Mails weitergibst. Ich hätte auch gerne darauf verzichtet,
aber ich weiss ja auch angesichts unserer skeptischen Grundhaltung,
dass Du mir nur glauben wirst, wenn Du siehst, dass ich Dinge
aus Deinem Leben weiss, die sonst wirklich niemand wissen kann,
weil niemand dabei war, weil es weit abseits von Überwachungskameras
geschah, und weil Du definitiv nie mit jemandem darüber gesprochen
hast. Aber lies selbst.
Gelöschter Abschnitt
Na, glaubst Du mir nun, dass ich niemand anderes
sein kann als Du selbst? Das kann einen schon ganz schön
erschüttern... Wobei ich Dich beruhigen kann: Du bist nicht
schizophren und schreibst Dir selbst Mails, ohne Dich daran zu
erinnern. Ich bin zwar Du, aber eben auch wieder nicht, denn ich
bin einundzwanzig Jahre älter als Du und damit eine andere
Person, was Du leicht glauben wirst, wenn Du Dich an unsere Ausgabe
zwei Jahrzehnte vor Deiner Zeit erinnerst. Deshalb werde ich in
diesen Mails von "wir" sprechen, wenn von Zeiten die
Rede ist, die wir beide erlebt haben, und von "ich"
und "Du", wenn ich Wissen einbringe, das ich erst nach
Deiner jetzigen Gegenwart erworben habe.
Das Grübeln, das Dich jetzt befällt,
kann ich Dir leider nicht abnehmen, ich musste da ja auch durch.
Ob ich aus einer Parallelwelt stamme, zum Beispiel, verbunden
durch ein Wurmloch. Oder ob doch ein Dritter mit irgendeiner raffinierten
Technik Dein Gehirn angezapft hat. Alles unnötige Sackgassen
des Denkens. Bald wirst Du es einsehen: Die logischste Lösung
des Rätsels ist die, dass ich tatsächlich eine künftige
Ausgabe Deiner selbst bin, die einen Weg gefunden hat, Dir Botschaften
aus der Zukunft zu senden. Gut, dafür, dass ich diese Mails
exakt einundzwanzig Jahre nach Deiner Gegenwart sende, gibt es
keinerlei Beweis, es sei denn, eben diese einundzwanzig Jahre
abzuwarten. Aber warum sollte ich Dich und damit mich selbst bescheissen?
Nun kenne ich uns allerdings gut genug um
zu wissen, dass wir Erklärungen brauchen, um die Möglichkeit
des Glaubens an das Unmögliche zumindest in Betracht zu ziehen.
Deshalb schildere ich Dir in aller Kürze, wie sich für
mich diese Brücke über die Zeit geöffnet hat, über
die ich diese Botschaft in meine Vergangenheit schicken kann:
Vor einiger Zeit habe ich einen jüngeren
Mann kennen gelernt. Dabei ist jünger relativ zu verstehen.
Du kannst Dir mein aktuelles Alter ja leicht ausrechnen, es ist
mittlerweile reichlich hoch, und so war auch der Mann, nennen
wir ihn Arthur, nicht mehr wirklich jung, sondern eher in mittleren
Jahren.
Wir trafen uns im Rahmen einer lockeren Vereinigung,
die sich für das Recht auf das eigene Verschwinden einsetzt.
Dazu musst Du wissen, dass sich das Einpflanzen von Chips, die
der Lokalisierung dienen, mittlerweile weitgehend durchgesetzt
hat. Was zu Deiner Zeit bei Hunden schon Routine war, wird jetzt
auch bei Menschen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit
praktiziert. Neugeborenen wird automatisch ein solcher Chip unter
die Haut gespritzt, und die meisten Erwachsenen haben sich freiwillig
dieser Prozedur unterzogen. Gerade uns älteren Menschen wird
dieser im Übrigen völlig problem- und schmerzlose Eingriff
sehr empfohlen. Sollte sich jemand im Zustand leichter geistiger
Verwirrung nämlich verirren, kann er dank dieses Chips und
einer hoch entwickelten Ortungstechnik rasch wieder gefunden werden.
Gegen diese scheinbar so vernünftige
Idee haben einige Menschen doch etwas einzuwenden. Ihnen missfällt
die Idee, jederzeit und ständig lokalisiert werden zu können.
Sie betrachten das als unzulässigen Eingriff in ihre persönliche
Freiheit und verweigern sich deshalb dem eingepflanzten Ortungschip,
jedenfalls so lange, als bis dieser auch ausschaltbar ist. Sie
fordern auch für das zweite Drittel des 21. Jahrhunderts
ein Recht auf Verschwinden.
Zu dieser Bewegung zähle ich mich selber,
und dasselbe tat Arthur. So sind wir uns begegnet. Bald stellten
wir fest, dass wir viele Interessen teilen, und so entwickelte
sich eine Freundschaft, zu deren Einzelheiten ich Dir aus Gründen,
die noch darzulegen sein werden, leider keine Einzelheiten berichten
kann.
Arthur war einer der führenden Köpfe
einer kleinen, aber feinen Forschungseinrichtung über Quantencomputer.
Manchmal erzählte er mir von seinem Forschungsgebiet, und
ich gab mir Mühe, ihm dabei so weit zu folgen, wie es mein
immer noch beschränktes Wissen um solche Themen zuliess.
Immerhin, das weißt Du ja, sind wir fähig zu verstehen,
worum es in den Grundzügen geht, auch wenn wir bei der konkreten
Ausgestaltung passen müssen.
Das, zusammen mit unserem persönlichen
Vertrauensverhältnis, schien Arthur jedoch zu genügen,
um mich eines Abends, an dem wir beide nicht mehr ganz nüchtern
waren, ins Vertrauen zu ziehen. So erfuhr ich, dass er heimlich,
also ohne Wissen seines Instituts, an einem ganz heissen Thema
arbeitete: der Informationsübertragung durch die Zeit.
Grundlage war das Phänomen der Quantenverschränkung:
Zwei Teilchen können so sehr ineinander verschränkt
sein, dass sie selbst bei räumlicher Trennung immer gleichzeitig
ihre Zustände ändern. Und zwar wirklich gleichzeitig,
also ohne Informationsübertragung auf dem üblichen Weg,
die ja höchstens Lichtgeschwindigkeit erreichen kann. Selbst
die dafür nötige winzige Zeit brauchen verschränkte
Quanten nicht, um zu wissen, was ihr Zwilling gerade tut. Vielmehr
vollziehen sie das buchstäblich im selben Augenblick nach.
Dieses Phänomen klingt phantastisch,
war aber schon zu Deiner Zeit grundsätzlich nachgewiesen
worden. Man sprach auch von Quantenteleportation, wobei es eben
nicht um den Transport eines Teilchens geht, sondern ausschliesslich
um einen absolut gleichzeitigen Informationsaustausch.
Wie weit die Wissenschaft auf diesem Feld
mittlerweile gekommen ist, kann ich Dir leider auch nicht mitteilen,
aber Du kannst gewiss sein, dass es ein ganzes Stück ist.
Um solche Fragen also drehte sich die Arbeit von Arthur, und eines
Tages tauchte in ihm die Frage auf, ob es die Quantenverschränkung,
wenn sie denn schon im Raum existiere, nicht auch in der Zeit
gäbe. Falls ja, müsste das, was im Raum funktionierte,
nämlich Informationsübertragung zwischen verschränkten
Quanten, auch in der Zeit möglich sein.
Wie Du siehst, ist es möglich. Natürlich
kostete es Arthur viel Zeit und Mühe, die erforderlichen
hochkomplexen Berechnungen anzustellen, und ohne die neuste Generation
der Quantencomputer, zu denen er dank seiner Stellung Zugang hatte,
hätte er es wohl nicht geschafft. So aber fand er heraus,
dass Informationsüberragung über die Zeit vermittels
Quantenverschränkung möglich sein müsste, wenn
auch angesichts der aktuellen technischen Möglichkeiten nur
sehr beschränkt.
Der Kanal, den er schliesslich entwickelte,
funktionierte nur in einer Zeitrichtung, nämlich rückwärts.
Er öffnete nur ein winziges Zeitfenster, nämlich immer
genau einundzwanzig Jahre zurück - frag mich bitte nicht,
warum dem so ist. Er konnte nur einfache Zeichen und Buchstaben
transportieren, so wie Eure klassischen SMSs auf dem Handy,
wenngleich mit einer deutlich höheren Obergrenze, was die
Zahl der transportierbaren Zeilen betrifft. Bilder und ähnlich
komplexere Dateien liessen sich nicht transportieren.
Zudem hatte Arthur herausgefunden, dass Sender
und Empfänger identisch sein mussten, genauer gesagt, es
musste sich um zwei Ausgaben derselben Person handeln, die sich
nur durch die zwischen Empfangen und Senden vergangene Zeit unterschieden.
Erschwerend hinzu kam, dass dasselbe auch
für die Computer von Sender und Empfänger galt. Auch
sie mussten identisch sein. Das war eine ziemlich einschneidende
Bedingung, denn welcher Computer wird schon über zwanzig
Jahre lang mitgeschleppt?
Nun, Du weisst, dass wir das mit unserem allerersten
Mac, der kleinen Kiste mit dem praktischen Handgriff oben, getan
haben. Den haben wir 1987 gekauft, und in Deiner Gegenwart im
Jahre 2008, also einundzwanzig Jahre später, stand er aus
sentimentalen Nostalgiegründen immer noch in einer Ecke bei
uns rum. Weil es zur Geschichte gehört, kann ich Dir ausnahmsweise
ein privates Detail verraten: Auch jenen iMac mit der Halbkugel
und dem schwenkbaren Flachbildschirm, mit dem wir länger
gearbeitet haben als mit irgendeinem Vorläufermodell, habe
ich aus ähnlichen Gründen aufbewahrt also jenes
Modell, auf dem Du gerade meine Botschaft aus der Zukunft liest.
Das erzählte ich natürlich auch
Arthur. Daraufhin wurde er ganz aufgeregt. Etwas verschämt
gestand er mir, seine Berechnungen hätten etwas ergeben,
dass er als kühler Rationalist zunächst gar nicht hätte
glauben wollen: Eine Bedingung für das Funktionieren der
E-Mails aus der Zukunft sei es nämlich, dass es zwischen
Besitzer und Computer mehr gäbe als eine reine Arbeitsbeziehung.
Es brauche vielmehr so etwas wie eine positive Gefühlsbeziehung
und die sei bei Mac-Besitzern, die ja nun bekanntlich weniger
Kunden und mehr Fans waren und sind, einfach mit weitaus höherer
Wahrscheinlichkeit zu finden als bei jenen, die mit simplen PCs
arbeiteten.
Dann schwieg Arthur eine lange Weile, um mich
schliesslich ganz direkt zu fragen, ob ich bereit wäre, mich
als Testperson für den Quanten-Transport über die Zeit
zur Verfügung zu stellen. Es sei ihm schon eine ganze Weile
klar, dass im jetzigen Stadium der Erforschung und Erprobung nicht
mehr als eine Testperson sinnvoll wäre. Zum einen, weil die
erforderlichen Ressourcen beschränkt waren, zum anderen aber,
um die Gefahr von Zeit-Paradoxa zu reduzieren.
Damit kennen wir uns dank intensiver Beschäftigung
mit Science Fiction aus, also nur zur Erinnerung: Ein Zeit-Paradox
meint die Gefahr, dass sich die Vergangenheit, in die ich eine
Botschaft schicke, dadurch so verändert, dass sie andere
Abzweigungen nimmt und damit zu einer anderen Zukunft führt
als die uns bekannte. Wenn ich Dir, nur so als Beispiel, die aktuellen
Aktienkurse mitteilen würde, und wenn diese Information in
falsche Hände geriete, könnte das ganze Finanzsystem
durcheinander kommen.
Oder, um ein Beispiel zu nennen, das Arthur
anführte: Wenn die Vergangenheit wüsste, dass in Zukunft
eine bestimmte technische Neuerung existieren wird, könnte
sie weniger eigene Energien in diese Erfindung investieren, was
dazu führen könnte, dass sie gar nie erfunden wird
und schon haben wir eine andere Zukunft. Im Extremfall könnte
eine Botschaft zurück in die Vergangenheit dazu führen,
dass der Sender in der Zukunft wegen anders gewählter Abzweigungen
aufhört zu existieren.
All diese Gefahren von Zeit-Paradoxa werden
natürlich gewaltig reduziert, wenn man nur einen Informationskanal
öffnet statt gleich Dutzende davon. Allerdings gebietet die
Vorsicht auch dann noch beträchtliche inhaltliche Einschränkungen,
wie mir Arthur erklärte. So sei es unbedingt zu vermeiden,
konkrete Zahlen, Fakten oder Namen mitzuteilen. Das allein würde
ihn für die Rolle der Testperson ungeeignet machen. Er sei
so sehr an konkreten Fakten interessiert, dass es ihn in
seiner vergangenen Ausgabe völlig verrückt machen
würde, ausgerechnet darüber nichts erfahren zu können.
Dagegen sei ich mit meiner Vorliebe für
die abstrakten Fliessmuster der persönlichen und der kulturellen
Evolution weit eher geeignet, würde ich doch in der Vergangenheit
aus der Zukunft genau das erfahren, was mich am meisten interessiere.
Allerdings, und jetzt sah er mich mit offenkundigen
Zweifeln an, gäbe es da noch ein Problem. Es dürfte,
so erklärte er mir, für die Testperson am vergangenen
Ende der Leitung eine ernsthafte Belastung werden, dass sie nichts
über ihre persönliche Zukunft erfahren dürfe. Das
nämlich sei wegen der Gefahr von Zeit-Paradoxa unbedingt
zu vermeiden. Würde die vergangene Ausgabe erfahren, wie
ihre konkrete Zukunft aussähe, liesse es sich kaum vermeiden,
dass sie, bewusst oder unbewusst, zu Handlungsmustern greift,
die eine bestimmte Zukunft verstärken oder vermeiden, und,
schwups, schon wäre die Zukunft eine andere, und die Leitung
damit zusammen gebrochen. Umgekehrt sei es für die Testperson
in der Vergangenheit sicher alle andere als leicht, zu wissen,
dass sie eine Zukunft hat, nicht aber, wie die konkret aussieht.
Hier sähe er die grösste Schwachstelle seines Modells,
weil es sich schlicht nicht voraussehen lasse, wie ein Mensch
diese bis anhin völlig unbekannte Situation psychisch verkraften
würde.
Ich muss in diesem Moment ziemlich unübersehbar
gegrinst haben, denn plötzlich griff er sich an den Kopf
und sagte: ªIch Hornochse! Du weisst natürlich, dass
es geht, weil Du es selber schon erlebt hast...´
Ich konnte ihm nur zustimmen. Ich hatte ja
von meiner Schwester in der Zeit die E-Mails aus der Zukunft bekommen,
und ich hatte ja während fast einundzwanzig Jahren die Erfahrung
gemacht, dass ich damit ganz gut leben konnte, auch mit den blinden
Flecken, die über meiner persönlichen Zukunft lagen.
Immerhin hatte ich dabei einen entscheidenden Bonus: Ich wusste,
dass ich auch noch einundzwanzig Jahre nach dem Erhalt der Botschaften
am Leben sein würde, und zwar bei offenkundig guter geistiger
Gesundheit. Das war zwar damals schon statistisch recht wahrscheinlich,
aber zwischen Wahrscheinlichkeit und Gewissheit liegt eben doch
ein himmelweiter Unterschied.
Zu jenem Zeitpunkt, als ich auf Arthur traf,
wusste ich also bereits, dass er mich als Testperson auswählen
würde, und ich wusste auch, dass ich mit der damit verbundenen
persönlichen Ungewissheit würde leben können. Und
mir war klar, dass ich Arthur davon nichts erzählen durfte,
wenn ich die Geschichte nicht gefährden wollte, er musste
schon selber darauf kommen. Erst dann konnte ich ihm gestehen,
dass es in den E-Mails meiner zukünftigen Doppelgängerin
eine Ausnahme von der Regel der Vermeidung konkreter Informationen
gab, nämlich seine, Arthurs, Geschichte. Meine zukünftige
Ausgabe hatte, ganz zu Recht übrigens, angenommen, ihre Vorgängerin
würde das Ganze nie akzeptieren, wenn sie nicht eine glaubwürdige
Vorgeschichte erzähle. Deshalb wusste ich, als ich Arthur
traf, was mich erwartete, wenigstens in groben Zügen.
So wurde ich also zu Arthurs Testperson. Er
reaktivierte meinen Uralt-Mac (Dein aktuelles Modell also), was
erstaunlich einfach ging, zumal das Ding nicht an das Netz angeschlossen
werden musste, was etwas schwieriger geworden wäre. Arthur
fummelte etwas an der Hardware herum, machte einige Anpassungen
an der Software und schloss schliesslich ein kleines Kästchen
an, das nicht grösser war als Eure damaligen USB-Sticks.
Das sollte es mir erlauben, Dir ein kürzeres oder längeres
Mail im reinen Textformat zu schicken, wann immer ich Lust und
Zeit dazu habe. Überstrapazieren dürfe ich das Ding
allerdings nicht, die darin enthaltenen Ressourcen seien beschränkt
und würden selbst bei sparsamem Gebrauch kaum länger
als ein Jahr ausreichen.
Und so habe ich vor einigen Minuten angefangen,
dieses Mail an Dich zu schreiben. Wie mir Arthur erkläre,
spielt es keine Rolle, wie lange ich schreibe: In jener Sekunde,
in der ich die Betreff-Zeile eintippe, erscheint auf Deinem Bildschirm
schon das ganze Mail, und Du sitzt in jenem Moment mit Sicherheit
davor, ich meine natürlich einundzwanzig Jahre vor meiner
Jetztzeit, ist manchmal immer noch etwas verwirrlich, das Ganze...
Arthur sitzt übrigens neben mir und beobachtet
gespannt einige Monitore. Darauf sind die Daten von weltweit verbreiteten
Messstationen abgebildet. Dabei handelt es sich um Computer, die
nichts anderes tun, als pausenlos Zufallszahlen zu generieren.
Manchmal jedoch ergeben sich Abweichungen von reinen Zufallsmustern,
erzeugt von etwas, das wir heute ganz selbstverständlich
als Bewusstseinsfelder bezeichnen. Du weißt, dass das schon
zu Deiner Zeit mehr ist als Science Fiction, Einflüsse von
kollektiven Bewusstseinsfeldern, etwa beim Attentat in New York
am 11. September 2001, oder beim Tsunami Ende 2004, sind bereits
nachgewiesen.
Mittlerweile sind die Messmethoden natürlich
wesentlich verfeinert worden, so dass sich auch schwächere
Bewusstseinsfelder, bzw. deren Wirkung auf die Zufallsgeneratoren,
nachweisen lassen. Arthur hat vorhergesagt, dass in jenem Moment,
in dem die Leitung über die Zeitbrücke hinweg frei geschaltet
wird, die Wirkung auf Dein Bewusstseinsfeld so stark sein würde,
dass sie mit dem verfeinerten Messinstrument nachweisbar sein
müsste und zwar auf beiden Seiten der Zeitbrücke.
In Deiner Zeit konnte man das noch nicht messen, in meiner schon.
Und Arthur hat eben einen entsprechenden Ausschlag
gesehen, stärker signifikant sogar noch als vorhergesagt.
Darüber ist er glücklich, ist es doch für ihn der
erste objektive Beweis dafür, dass die Sache geklappt hat.
Klar, er hat meine Erinnerungen, doch auf eine einzige subjektive
Wissensquelle zu vertrauen, fällt einem eingefleischten Skeptiker
wie ihm schwer, und zudem habe ich ihn im Verdacht, noch einige
Reste jener kulturellen DNA seines Heimatlandes mitzuschleppen,
die der Zeugenaussage einer Frau nur halb so viel Wert beimessen
wie jener eines Mannes...
Wie dem auch sei, Arthur glaubt jetzt an den
Erfolg seiner Mission und hat sich gerade mit einem glücklichen
Lächeln auf dem Gesicht verabschiedet.
Und auch für mich wird es Zeit, mit diesem
ersten Mail zu einem Ende zu kommen. Schliesslich hast Du ja jetzt
einiges zu verdauen. Du wirst es schaffen, schliesslich erinnere
ich mich daran.
Ach ja, ehe ich es vergesse: Es versteht sich
von selbst, dass diese Geschichte unter uns bleiben muss. Würdest
Du anfangen herumzuerzählen, Du bekämest von Deiner
eigenen zukünftigen Ausgabe E-Mails aus der Zukunft zugeschickt,
würde man Dich in die Psychiatrie sperren. Oder, schlimmer
noch, Dich als harmlose Esoterik-Spinnerin abstempeln.
Und das wollen wir doch vermeiden, denn Du
hast noch was vor. Die Mails selber sollen ja nicht bei Dir bleiben,
Du wirst, wenn Du ein paar davon gelesen hast, von selber auf
die Idee kommen, sie jenen zugänglich zu machen, die etwas
damit anfangen können to whom it may concern. Du wirst
bald von der Idee abkommen, dafür einen konventionellen Verlag
zu suchen, die wüssten schlicht nicht, in welches Regal der
Buchhandlung sie das Ding stellen sollten. Also wirst Du, wie
es zu einem obskuren Stoff aus einer obskuren Quelle passt, einen
eher obskuren Herausgeber finden, der bereit ist, meine Mails
im Netz und in Buchform zu publizieren. Und der vor allem auch
bereit ist zu akzeptieren, dass er nie erfahren wird, von wem
die Dinger wirklich stammen.
Das hat zwar zur Folge, dass Du auf Tantiemen
verzichten musst, aber, so viel kann ich verraten, das ist ein
kleiner Verlust. Stell Dir dagegen vor, Du wärest als Quelle
bekannt Du könntest Dich vor Medienbelästigung
nicht mehr retten. Und dann müsste die Öffentlichkeit
die Geschichte womöglich noch glauben, was wir tunlichst
vermeiden wollen, denn dafür ist sie schlicht noch nicht
bereit. Es genügt absolut, wenn ein paar Menschen sich auf
das Gedankenspiel einlassen, die von mir geschilderten Zukünfte
könnten womöglich wirklich wahr sein. Denn das würde
dazu führen, dass sie anfangen sich zu überlegen, was
diese Zukünfte für sie selbst und für ihre Umgebung
bedeuten. Und schon wäre ein Anfang dafür gemacht, dass
das, was Eure Zeit als Potenziale und Chancen der Zukunft erst
ahnt, zur von mir erlebten Wirklichkeit führen würde.
Genug der Möglichkeitsformen. Ich weiss
ja, dass es so kommen wird. Du schreibst gerade an einem nicht
ganz unbedeutenden Kapitel von Auto-Evolution mit. Darüber
mehr im nächsten Mail.
Damit Du Deine Dir zugedachte Rolle spielen
kannst, solltest Du die nächsten zwei Jahrzehnte gesund,
wach und neugierig bleiben. Also halt die Ohren steif und lass
es Dir gut gehen.
In diesem Sinne bis bald. Deine Schwester
in der Zeit:
Xenia Futura
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nächsten E-Mail aus der Zukunft
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